Was uns an Südtirol so interessiert, dass wir wie viele andere Gäste immer wieder gern dorthin kommen? Auf den einfachsten Nenner gebracht – Landschaft & Geschichte, dazu natürlich auch zu passender Zeit die Welt der Alpenblumen. So haben wir im Gästebuch von Irmgard und Sepp Pircher ( “Hofmannshof” in Lana) heuer schon den siebenten Aufenthalt gezählt!
Tramin an der Weinstraße – immer wieder ein bevorzugtes Ziel! Vom zentral neben Meran gelegenen Lana aus ist die Auswahl der Tourenmöglichkeiten außerdem sehr vielfältig. Ob der Vinschgau mit den Hochtälern bis in die Ortlergruppe oder die von uns geradezu “erforschten” Waalwege. Neben der näheren Umgebung lockt vor allem auch das Überetsch, von Eppan angefangen, sowohl wegen seiner lieblichen “Weinlandschaft” als auch mit seinen romantischen Ortsbildern. Am weitesten in dieser Richtung sind wir bis nach Tramin gekommen.
St. Jakob auf Kastelaz oberhalb von Tramin
Die Weine von Tramin haben seit jeher Weltgeltung, vergleichbar mit dem Ungarischen Tokayer oder einigen österreichischen Besonderheiten, der Gewürztraminer hält den Ort sozusagen in seinem Namen fest. Indem wir uns jedesmal auch einige kunsthistorische Ziele vornehmen, sind wir in Tramin auch am richtigen Platz, noch dazu weil die uns besser bekannten Jakobskirchen – an einem Jakobsweg nach Santiago de Compostella gelegen – mit ihren romanischen Fresken zu den bedeutendsten in Südtirol gehören. Über Grissian habe ich schon berichtet, und in diesem Urlaub fanden wir in San Romedio am Nonsberg gleich ein vergleichbares Bild.
Noch bevor die Hochblüte der Gotik in Baukunst und Malerei einsetzte, hat die Zeit der Romanik einzigartige Spuren hinterlassen, eine bizarre Bilderwelt, die in den religiösen Vorstellungen dieser archaisch wirkenden Kunstepoche wurzelt. Im vorigen Bild von San Romedio – eigenartige Mischwesen von Mensch und Tier, alle auch von symbolischer Bedeutung, wie sie besonders anschaulich im Kirchenführer von St. Jakob in Kastelaz nachzulesen ist. Wie immer muss ich mir bei dieser Gelegenheit vornehmen, vor einer Besichtigung die Spezialliteratur durchzusehen oder als allererstes den Kirchenführer anzuschauen! Das lohnt sich wegen dem besseren Verständnis und weil man nicht etwas ganz Hervorragendes übersehen kann. In Tramin hatten wir heuer den Vorteil, bereits 2008 fleißig fotografiert zu haben, die damaligen Bilder (Olypus Superzoom) erwiesen sich nämlich als viel problemloser als die heurigen (Coolpix 500/510), wobei es selbstverständlich auf die Lichtverhältnisse ankommt, auch wenn an sich für mich stimmt “digital ist meist ideal”!
AB Blick von Tramin gegen Kastelaz und die Jakobskirche
So fuhren wir also in der Mitte der zweiten Urlaubswoche (25. Oktober 2017) auf der bekannten Route über Eppan und Kaltern gegen Tramin, auf der Südtiroler Weinstraße, allein schon das ein Landschaftserlebnis der Sonderklasse und aus unserer Sicht der überlasteten Autobahn über Bozen vorzuziehen. Vorbei an den Abzweigungen zum Kalterer See gelangt man an eine Straßenkreuzung mit einer höher am Hang des “Mendelgebirges” verlaufenden Seitenstraße (dort besuchten wir einmal die Burgkirchenanlage von St. Peter), und hier geht es gleich rechts ab nach Kastelaz, sozusagen einem höher am Hang gelegenen Vorort von Tramin.
Wegweiser zeigen schon die Route zu der berühmten Kirche, ein großer Parkplatz steht zur Verfügung, und dann geht man gemütlich durch die malerische Ansiedlung bergwärts, nach freundlicher Auskunft etwas links haltend und dann eine Art Kirchenstiege hinauf. Die große Pfarrkirche von Tramin liegt schon tiefer, die Weinrieden sind zwischen alten Gehöften eingebettet, zuletzt erfolgt der Ausstieg zu einem kleinen Platz mit Brunnen, und mit ein paar Schritten rechts stehen wir vor der Jakobskirche von Kastelaz.
AB Brunnen und Jakobskirche
Fast rituell ist zunächst ein Rundgang um die Kirche, und dabei wird die Gliederung des im 11. Jh. (wie ich vermute auf einer frühgeschichtlichen und antiken Kultstätte) begonnenen und ursprünglich in eine Wehranlage einbezogenen Bauwerks deutlich: Vor uns sehen wir den jüngsten Teil, das gotische südliche Seitenschiff aus dem 14. Jh., daneben der gut 300 Jahre ältere massive Turm. Dahinter und vom Zugang her versteckt befindet sich das romanische Langhaus, versehen mit einer Apsis und einem jüngeren Sakristeianbau.
AB Turmportal und Apsis
Die Kirche betritt man durch das südseitige Portal und wird – obwohl in den reich mit Fresken ausgestatten gotischen Teil tretend – sofort gefesselt von einer liegenden Gigantenfigur, die fast die ganze untere Längswand des romanischen Langhauses einnimmt.
Der Hirtenjunge David hat mit einer Steinschleuder den Riesen Golith zu Boden gestreckt und vollendet seinen Sieg, in dem er dem Riesen mit dessen eigenem Schwert den Kopf abschlägt. Oberhalb dieser alttestamentlichen Szene steht das monumental wirkende Kreuzungsbild für das neue Testament. Nach dieser ersten Überraschung wendet sich der Blick nach rechts in die ostwärts vorgewölbte Apsis, die in dreistöckigem Aufbau die Geisteswelt von den niedrigsten Stufen bis zur höchsten Vollkommenheit darstellt.
In der untersten Zone bewegen sich zwei Gruppen von Fabelwesen, flankiert von Atlanten (Trägerfiguren), jeweils überhöht von einer weiteren obskuren Gestalt. Im Innern der Apsis finden sich in Paaren die Apostel ein, sozusagen als Stufe der Menschen, die aber bereits dem Höchsten nahe sind. Der thronende Christus im höchsten Abschnitt, dem sogenannten Kalottenfresko, stellt den aus frühromanischen und byzantinischen Kirchen bekannten Weltenrichter dar, außerhalb der Mandorla die Evangelisten sowie Johannes der Täufer und die Gottesmutter Maria.
In das ebenfalls großräumige südliche Seitenschiff zurücktretend, erfolgt der Schritt in die Zeit der Gotik. Die Fresken sind nach 1400 entstanden und südtiroler Künstlern zuzuweisen. Der Unterzug des Trennbogens ist mit zahlreichen medaillonartigen Darstellungen überzogen, das Kreuzrippengewölbe enthält sehr gut erhaltene Darstellungen von Engeln und der vier Evangelisten.
AB Romanisches Langhaus (links), Trennbogen und gotischer Teil
Das Fresko über dem Steinsockel dient zugleich als Altarbild und zeigt die Kreuzigungsszene. Eine Besonderheit haben wir diesmal übersehen, nämlich die Seitenwand des Gewölbes beim Eingangsportal. Auf unseren Bildern von 2008 habe ich diese (im Kirchenführer gezeigte) Stelle allerdings gefunden und eine Ausschnittsvergrößerung anfertigen können. Es zeigt – dem schon im frühen Mittelalter hoch modernen Jakobsweg entsprechend – eine Pilgergruppe, die von der Erscheinung des Hl. Jakobus empfangen wird. Eine analoge Darstellung neben dem Außenportal haben wir jedoch einfach übersehen (oder sie war nicht mehr so augenfällig).
Eigentlich verwunderlich ist, dass die Jakobskirche offensteht und man nur zu einer Spende aufgefordert wird. Danach treten wir auf den Bergsaum unterhalb von Turm und Apsis hinaus, und von dort aus wird die hervorragende Lage der Kirche besonders fassbar. Weit geht der Blick gegen Norden vom Überetsch bis zu den Bergen im Hintergrund von Bozen und Meran, idyllisch ausgebreitet der Kalterer See, dahinter die Sarntaler Alpen und östlich gegenüber die Berge vor der Latemargruppe mit ihren Steilabstürzen gegen das Etschtal.
Hätten wir nicht zurück zum Parkplatz müssen, wäre die Wanderung gleich weiter ins Ortszentrum von Tramin gegangen. Darüber schreibt Lutterotti in der Südtiroler Landeskunde: Das Dorfbild von Tramin hat trotz der vielen neueren Bauten durchaus den Charakter eines behäbigen Weinbauernortes bewahrt – enge, oft miteinander verwachsene Häusergruppen mit tiefen Kellern und schönen, runden Torbögen, die in einen kleinen Hof führen, aber auch stattlichere Gebäude, denen man noch früheren Glanz ansieht.
Wir besichtigen zunächst noch die Pfarrkirche, deren Turm zu den höchsten in Südtirol gehört (Bilder von Anni), lassen wir uns auch zur Mittagsrast im Vorgarten eines alten, nun eher als Pizzeria fungierenden Gasthauses nieder. Gegenüber steht das Rathaus, und der Stolz Tramins auf seinen Wein ist offenkundig!
Wir wissen jedoch noch um ein weiteres kunsthistorisches Ziel in Tramin, die südlich außerhalb gelegene Friedhofskirche. Auf dem Weg dort hin durch die schmale alte Gasse wird der vorher geschilderte Charakter des Ortes besonders deutlich:
Die Valentinskirche aus romanisch-gotischer Zeit steht in dem von Weingärten umgebenen Friedhof, leider ist sie versperrt, und außer einem schönen Blick über die Landschaft und einem spärlichen ins Kircheninnere wird uns hier nicht viel geboten. Trotzdem hat sich der Rundweg über die alte obere und untere Ortsstraße schon allein wegen der Bewegung ausgezahlt. Wir können uns auch ruhig Zeit lassen, denn beim Überstellen des Autos von Kastelaz ins Ortszentrum von Tramin haben wir schon die Weinkellerei aufgesucht, eine ganz moderne Anlage, und uns mit einigen Erinnerungsstücken eingedeckt… Übrigens ist uns vorgekommen (wir sind aber keine speziellen Weinkenner, sondern eher Geschmacksgenießer), dass uns jeglicher Traminer heuer besser vorgekommen ist als die Kalterer und Meraner Weine.
Der Pestpatron Hl. Rochus (? mit Hund und weil er auf seine Pestbeule zeigt?) und die Valentinskirche
AB Valentinskirche im Friedhof
Dieser erlebnisreiche Tag endet mit der (gar nicht so schlimmen) Rückfahrt über Kaltern und Eppan zur MEBO beim Schloss Siegmundskron. Abends gibt es “Schnellküche” mit Weißwurst, Forstbier und gebratenen “Keschtn”… dann noch Bilder speichern und nur mehr ausrasten…
Über die Deutung der Fresken von St. Jakob in Kastelaz bringe ich bald einen eigenen Bericht, auch im meinen facebook-Seiten: Bernhard Baumgartner / Autor / Kral-Verlag und Wandertipp bernhard baumgartner