Freitag, 9. September: Einer klaren Nacht mit Abkühlung folgt (wieder) ein spätsommerlicher Tag, und dieser soll für eine ausgedehnte Tour genützt werden!
Morgenstimmung am "Ringplatz" / Namesti republiky in Gratzen und Wallfahrtskirche Brünnl von der Straßenauffahrt nach Stropnize
Nach ausgiebigem Frühstücksbuffet im Hotel Rezidence verladen wir die Räder und fahren hinauf in die Berge. Unser Ziel ist das Hotel-Restaurant Zofin, Abzweigung dorthin in Schwarztal / Cerne Udoli, voll hinein in die einsamsten Wälder, nur wenige Kilometer von der österreichischen Staatsgrenze bei Joachimsthal und Schwarzau entfernt. Auf 720 m Seehöhe in einer Hochtalmulde gelegen, entstand 1854 das nach der damaligen Herrschaftsinhaberin von Gratzen benannte Sophienschloss. Davon erhalten sind leider nur mehr (oder immerhin zum Glück) die im Restaurant und auf Infotafeln erhaltenen Bilder der im “Schweizerstil” aus Holz erbauten Anlage. Unglaublich die Jahreszahl 1980, denn erst damals wurden die wertvollen historischen Gebäude von der Grenzwache abgerissen!
Historisches Sophienschloß und Hotel-Restaurant Zofin ("Schoffin")
Trotz der relativ langen Anfahrt auf den Waldstraßen sind wir schon vor 10 Uhr startbereit und haben nun den ganzen langen Tag zur Verfügung! Räder abladen, und schon geht es auf der asphaltierten Forststraße los (Fahrverbot für Autos und Motorräder, nirgendswo ein Schranken oder weitere Verbotstafeln, Radfahren erlaubt – E-Bikes? haben wir nirgends gesehen…). Vom kleinen Teich unterhalb des Hotels wendet sich die Straße hinein in das obere Tal des Schwarzbaches und beginnt bald gehörig anzusteigen. Mit E-Bikes wären wir ideal bedient gewesen, so bleibt es beim Motto “Wer sein Rad liebt, der schiebt” bevor uns die Luft ausgeht…
AB Hutsky Teich
Das erwartete Landschaftsbild erfüllt alle Fotowünsche! Hier treffen wir ein deutsches Paar, das mit riesigen Rucksäcken unterwegs ist. Unser Gepäck ist ganz bescheiden – nicht einmal eine Radpumpe oder Pickzeug haben wir mit! Das kann man wohl Überoptimismus nennen – passiert ist uns wirklich bei allen letzten Radtouren trotz “überwutzelter” Reifen noch (!) nichts…
Zur Auswahl stehen jetzt zwei Varianten – die asphaltierte führt an der Nordseite um den Teich und das anschließende, von Sumpfwiesen geprägte, aber sonst wie eine Alm wirkende Tal zum “Waldsattel”, wie ich in Ermangelung eines Begriffes aus der Karte den Übergang vom Schwarzbachtal ins “Silbertal” nenne. Wir nehmen aber den Asphalt nur kurz rechts (wo auch eine Radroute weiterverläuft), dann folgt jedoch links talein abbiegend bald eine schottrige Forststraße mit einigen Schiebestrecken – sogar bergab, wenn es zu steil und geröllig ist, zur Sicherheit!
Das Jagdhaus vor dem “Waldsattel” und die Pseudoalm (unbewirtschaftete Sumpfwiesen, im Frühsommer sicher nicht uninteressant).
Zum Teich hinauf haben wir schon 100 Höhenmeter bewältigt, bis zum “Waldsattel” kommen wir auf 835 m Seehöhe. Dort empfängt uns ein sicher historisches Wegkreuz, zwar ohne Jahreszahl, aber dafür mit auffallender Inschrift und rostigen Eisenstücken auf dem Sockel. Man darf nicht vergessen, dass in diesen menschenleeren Waldgebieten bereits im 18. Jahrhundert Siedlungen entstanden sind, vorzüglich für Glashütten oder als Holzknechtdörfer durch die Gratzener Herrschaft Buquoit angelegt. So bestand beim Hutsky rybnik (= Teich) das Dorf Tercina hut / Theresienhütte, der Teich wurde 1784 zur Holzschwemme angelegt, im 18. Jh. bestand eine Glashütte. Jenseits des “Waldsattels” gab es von 1794 bis 1881 die Glashütte Skelna hut oder nach dem Gründer “Bonaventura” benannt, noch 1930 mit 56 “deutschen” (eigentlich altösterreichischen) Bewohnern in 10 Häusern.
Für uns heißt es jetzt entscheiden – gleich weiter auf der Runde nach Zofin oder seitwärts auf den Gipfel Myslivna ? Aber da genug Zeit ist und wir trotz Schiebestrecke Energie eingespart haben, entscheiden wir uns für den Seitenweg zum Gipfel. Dorthin setzt sich nämlich die am “Waldsattel” erreichte asphaltierte Forststraße in südlicher Richtung fort. Also aufsteigen, kräftig in die Pedale treten, absteigen, schieben, wieder in den Sattel… So bewältigen wir wohl die Hälfte der (ja bescheidenen) 200 m Höhenunterschied, und es wäre auch noch ganz gut weitergegangen, wie wir nach dem Abstellen der Räder marschierend bemerken. Aber immerhin ergibt sich so eine Abwechslung, und außerdem hätten wir kaum beim Radeln die Eierschwammerl entdeckt, die am Waldrand mehrfach auf uns gewartet haben!
Der Routenverlauf ist ganz einfach – immer auf Asphalt und bei jeder Kreuzung auf der bergauf führenden Straße weiter. Bei der vierten Kreuzung sind wir schon am Gipfelplateau angelangt, und den teils überaus mächtigen Hochwäldern folgen nun freie Flächen – verwachsene Holzschläge und Jungforste, alles nach der Sturmkatastrophe des Orkans Kyrill von 2007 entstanden.
Durch eine Mulde kommen wir zum Hochwald am südlichen Bergrand, dort macht die Straße eine scharfe Rechtsbiegung, und eine Tafel signalisiert das Natura-2000-Gebiet der (oder des) Myslivna. Das eigentliche Schutzgebiet befindet sich aber an der Nordwestseite des Gipfels, hier an der von uns begangenen Ostseite regeneriert sich die Pflanzenwelt erst wieder nach der Naturkatastrophe des Kyrill-Orkans. Auffallend sind riesenhafte Rotbuchen mit völlig zerzausten Kronen, die offensichtlich den Orkan überstanden haben.
Auf der höchsten Gipfelkuppe endet der Asphalt vor einer Jagdhütte, deren Geschichte man im Internet nachlesen kann: Zur Zeit des Eisernen Vorhangs war hier eine Beobachtungsstation zur elektronischen Überwachung, später gab es Pläne für eine Sternwarte, geblieben ist der Stützpunkt der Staatsforste, wie ein abgestellter Dienstwagen beweist. Obwohl der Myslivna (ich bleibe jetzt beim “der” für Berg) nach dem Kamenec bei Pohori na sumava (Steinberg bei Buchers) der zweithöchste der drei Tausender der Novohradske Hory in Tschechien ist (dritter ist der Vysoka), genießt er keine Bekanntheit. Nicht einmal im Standardführer von Helmfried Knoll (meinem sehr geschätzten alpinliterarischen Vorgänger in den Steirisch-niederösterreichischen Alpen) “Wandern im Grenzland” NÖ Pressehaus 1991 ist er erwähnt. Dafür habe ich aus einer Diplomarbeit über Buchers, die ich beim Beitrag über den “Bucherser Kirtag” am 11. September anführen werde, den altösterreichischen (deutschsprachigen) Namen entnommen – “Fahrenberg”, also ein Berg mit vielen Föhren analog zu den niederösterreichischen Voralpen (aus Katasteraufnahme des 19. Jahrhunderts).
Der "wild dreinschauende" Gipfelblock des Myslivna und Ausblick gegen das Mühlviertel hinter den Grenzbergen des Freiwaldes.
Das soll alles gewesen sein auf dem Myslivna? Beim Umrunden der Gipfellichtung kommen wir aber zu dem vom Jagdhaus gerade noch zu entdeckenden Blockgipfel. Erst von diesem herabkletternd, entdecken wir das einfache “Rundherum”, hinauf krieche ich durch eine Blocklücke und Anni schlängelt sich um den “Granitbauch” auf einer schmalen Leiste herum. Eigenartig sind die Waldverhältnisse auf dem Gipfel – der Kiryll muss hier einen Haken geschlagen haben, denn inmitten halbhoher Fichten steht eine stattliche Rotbuche! Begegnet haben wir übrigens außer dem Forstbeamten aus dem abgestellten Auto und zwei Mountainbikern (wir weisen ihnen die Route hinunter nach Buchers) keinen einzigen Menschen…
Ein selten noch blühender und noch dazu weißer Fingerhut, und das Kreuz am "Waldsattel"
Die Einteilung hat im Abstieg bestens gepasst, anfangs ersparten wir uns das Bremsen, und im unteren Teil waren wir froh, wieder die Räder besteigen zu können. Beim “Waldsattel” angelangt, hätten wir die Weiterfahrt leicht gehabt, aber wir wählen die Radroute 1193, und die zweigt kurz danach rechts talwärts auf einen Schotterweg ab. Im letzten Teil müssen wir sogar absteigen, aber inzwischen ist schon der zur Lainsitz führende Talboden in Sicht gekommen. Noch dazu verläuft die Forststraße durch eine phänomenale Baumallee!
In diesem Talwinkel, wo die aus der Richtung von Buchers her kommende Lainsitz / Luznice bei Joachimsthal östlich abbiegt, befand sich einst ein nicht unbedeutender Bergbauort – Silberberg / Stribrne Hute, Name von Silberbergbau, von 1782 bis 1881 eine Glashütte, Fundstücke liegen bei der Infotafel talaufwärts neben der Lainsitz auf). Für uns ist dieser Punkt etwas heikel, denn erstens sind wir wieder auf der Seehöhe von Zofin angelangt (720 m) und müssen über den Achthunderter hinaus dorthin noch einen Sattel überqueren. Außerdem birgt der Straßenzustand doch ein Überraschungsmoment.
Wer sich hier nicht auskennt, muss bei dieser Abzweigung gehörig aufpassen! Aber wir wissen schon, bevor wir zur ersten Infotafel (vom Joachimsthaler Grenzübergang über die Lainsitz kommend kurz westwärts) kommen, müssen wir die linke Forststraße nehmen. Eine danach irreführende rechte Abzweigung erübrigt sich, den die “Hauptstraße” ist eindeutig – aber sie führt auch kompromisslos bergauf! Also wieder schieben! Wenn es jenseits des Sattels nicht besser wird, kommen wir wohl kaum vor der Dämmerung nach Zofin… Unser doppeltes Glück besteht darin, dass eine ganz schöne Menge Eierschwammerl von der Anstrengung ablenkt und oben am Sattel die vom “Waldsattel” kommende (unbezeichnete) Forststraße erreicht wird. Im Bild sieht man schon Anni mit dem Schwammerlsackerl… (heute, am 16. September, die letzten verspeist). Für den Abstecher zum historischen Grenzstein von 1754 beim Stein IV/16 der Staatsgrenze bleibt mir leider zu wenig Zeit.
Auf der Asphaltbahn geht es jetzt zum Glück ganz zügig dahin, meist bergab und ohne Aufenthalt, bis eine hohe Holzplanke auf langer Strecke das Urwaldreservat Zofinsky prales / Sophienurwald anzeigt. Das Schutzgebiet auf ca. 100 Hektar wurde bereits 1838 (!) von den Gratzener Grafen eingerichtet, ebensobeim kleineren Urwald nordöstlich des Vysoka, wie am Lahnsattel durch die Hoyos vom Abholzen ausgenommen, damit zu den ältesten Naturschutzgebieten Europas gehörend. Der Eindruck im Vorbeifahren ist zwar nicht überwältigend, aber an einer Stelle, wo nur die kahlen Steher abgestorbener Fichtenriesen an das Waldsterben erinnern, sogar erschreckend!
Abgesehen von einer ausgesprungenen Radkette beim zu schnellen Schalten verläuft die Talfahrt zur besten Zufriedenheit – um 16 Uhr halten wir vor dem Restaurant Zofin. Noch vor dem Verladen der Räder lassen wir uns auf der Terrasse nieder und stärken uns mit einem kräftigen Großen Braunen (so stark, dass der Löffen drin steckenbleibt, wie wir immer sagen) und Pfanntalken” (= Palatschinken) mit Heidelbeeren samt ausreichendem Flüssigkeitsnachschub… Nach der sechsstündigen Tour, für die wir zu Fuß wohl viel länger gebraucht hätten, genießt man die gemütliche Autofahrt zurück nach Gratzen, vorbei an der Wallfahrtskirche Dobra Voda mit Auftanken beim Brünnl. Dass tagsüber Wolken aufgezogen sind, hat außerdem die schon ausbrechende Hitze verhindert.