Nationalpark Hohe Tauern: Ins Seidlwinkeltal bei Rauris
5. August 2018 von Bernhard Baumgartner
Im Lauf der Jahrzehnte habe ich bzw. haben wir speziell in den Hohen Tauern viele prominente Ziele, aber auch einsame Winkel “abgegrast”, nicht nur beim einjährigen beruflichen Aufenthalt in Zell am See, sondern immer wieder bei Urlaubstouren. In den letzten Jahren war fast jedes Jahr Gastein “dran”, und dort in der Nähe (sozusagen nur überm Berg drüben) hat uns noch ein Stück gefehlt – das Seidlwinkeltal. Vielleicht weil immer etwas Spektakuläreres mehr gelockt hat? Aber heuer war der Mittwoch, 18. Juli, bei der halben Urlaubszeit ein geeigneter Tag für diese Talwanderung. Das Wetter hat es nämlich (wie im Juni in Velden) nicht besonders gut mit uns gemeint… Oder eigentlich doch, denn laut Wetterbericht hätte es viel schlechter sein müssen! Aber bei verwolkten Gipfeln, auch wenn es nicht regnet oder gewittert, bleibt man halt lieber im Tal und geht ins Seidlwinkeltal…
Eigentlich hatte wir gar keine richtige Vorstellung, wie es dort ausschaut – eines der weniger bekannten Tauerntäler, ein Seitenast des berühmten Rauriser Tals, der zur Glocknerstraße beim Fuschertörl hinaufzieht. Bekannt auch aus der Geologie, denn die Seidlwinkeldecke ist eine Besonderheit in den Hohen Tauern, weil hier innerhalb des tektonischen Tauernfensters ein ausgedehntes Vorkommen von Quarzit auftaucht. Sonst waren unsere Erwartungen eigentlich nur auf ein gemütliches Wandern in geschützter Tallage eingestellt, als wir von Bad Hofgastein über Taxenbach nach Rauris fuhren. Bald hinter dem Hauptort des Tales folgt im Weiler Wörth die Abzweigung, an Talwiesen und einzelnen Bauernhöfen vorbei geht es noch per Autozufahrt bis zum großen Parkplatz “Fleck” am Rand des Nationalparks. Alles gut organisiert und für den Tourismusbetrieb eingerichtet, dazu die Infotafeln entlang der Strecke. Nun geht es nur mehr zu Fuß weiter – vielmehr, wer hat der hat, sausen die E-Biker ungeachtet der Steigung durchs Tal. Für uns heißt es, das ist die letzte Talstrecke, die wir “unter die Füße nehmen”, denn irgendwann steigen wir auch auf ein E-Bike um!
Schon bald nach dem Parkplatz in der letzten Talweitung geht es in einen schluchtartigen Abschnitt des Seidlwinkls, treffend “Klausen” genannt. Die Ache rauscht als ansehnlicher Wildbach unterhalb der dicht begrünten und teilweise felsigen Hänge dahin. Im Winter muss es hier allerhand Lawinen geben, auf dem vorigen letzten Bild noch ein Schneekegel erkennbar. Nach einiger steigender Strecke holt uns ein “Tälerbus” – eine tolle Einrichtung in dem für den Autoverkehr gesperrten Nationalparktals. Wir verwandeln uns aus Wanderern zu Autostoppern und kommen so mühelos und uns gut mit dem bajuwarischen Schofför unterhaltend die paar Kilometer hinein bis zum Tauernhaus. Mehr als eine Stunde Gehzeit erspart und vor allem deshalb lohnend, weil erst beim Rauriser Tauernhaus der interessantere Wanderweg beginnt. Übrigens ein geschichtsträchtiger Platz, das ‘”stromlose” und nur im Hochsommer offene Gebäude, daneben eine kleine Kapelle mit Marienbild aus dem 19. Jahrhundert, aber bestimmt ein viel älterer Andachts- und Stützpunkt auf dem Weg über den Hohen Tauern (Hochtor) nach Heiligenblut – neuerdings als Pilgerweg beliebter als die Strecke von Fusch (weil diese oft entlang der Straße verläuft).
Der Himmel ist ziemlich verwolkt, aber es bleibt ganze Zeit trocken, später sogar wieder sonnig, dabei kühl und ideales Wanderwetter. Stärker ansteigend schlängelt sich der alte, neuerdings anscheinend verbesserte Saumweg (weil hier über den Tauern “gesäumt” wurde, das heißt Waren mittels Tragtieren befördert) zwischen urigem Baumbestand in den Talhintergrund. Unterhalb rauscht der Bach zwischen Felsblöcken dahin, erst nach einem Stück Gehzeit fließt er ruhiger neben dem Weg. Überall üppigstes Grün, Moose und Farne (ein unbekanntes Objekt könnte eine Art Lebermoos sein), F’ichten, Lärchen, später auch ein paar seltene Zirben – beherrschend in der Hochstaudenflora weil in Vollblüte sind Alpen-Dost, Alpen-Milchlattich und Österreichische Gemswurz, alles stattliche Pflanzen. Im Hochtal kommt noch die Almrauschblüte dazu!
Nach mehr als einer Stunde öffnet sich das Hochtal mit den Gipfeln rund um das Fuscher Törl an der Glocknerstraße (von dort führt sogar eine Seilbahn zur folgenden Alm herab). Vor der Litzlhoferalm, die nun bald in Sicht kommt, halten wir dann Mittagsrast (die Käserei haben wir leider nicht besucht). Eine schöne Zeit neben dem munteren Bach und zwischen bunten Blüten, dazu kühlender Nordwind im Rücken und die einsamen Gipfel vor Augen… Der Rückweg ist ebenfalls ein Genuss, immer wieder andere Blickwinkel als beim Aufstieg, und beim Rauriser Tauernhaus scheint nun schon die Sonne!
Beim Tauernhaus kommen wir gerade zu ungünstiger Zeit an – der Tälerbus wird erst kommen, und weil wir schon so flott im Gehen sind, marschieren wir einfach weiter. Der uns dann entgegen kommende selbe Busfahrer gibt uns nur Bescheid, dass wir bei der Palfneralm bis zur nächsten fahrplanmäßigen Zeit warten sollen (er erschien nur etwas unfreundlich, überraschend nach unserer netten Unterhaltung), weil er schon viele wartende Gäste hat. So langen wir mit geraumer Wartefrist bei der Alm an, die Zeit vergeht uns aber rasch, denn erstens gibt es erfrischende Buttermilch (wohl eher von der Molkerei), neben der Hütte ist es schön zu sitzen, und außerdem spielt sich hier allerhand autentisches Almleben ab. Mädchen helfen bei der Ausschank und die ebenso als Helfer werkenden Burschen treiben bald die Kühe zum Melken in den Stall. Die Hütte stammt schon von etwa 1750, ein wahres historisches Bauwerk, innen voll urig, der Stall daneben wie ausgekehrt sauber, und auf der Weide fühlen sich die stammigen Almschweine sichtlich sauwohl…
Wie immer muss ich noch um etwas Interessantes nachfragen. Der Name Palfneralm scheint mir vom Felskopf oberhalb der Hütte (mundartlich Palfen) zu kommen, aber es stellt sich heraus, dass die Almfamilie Gruber aus St. Johann stammt, aber vielleicht wohnen sie dort unter einem Palfen… Im Bus sind wir dann die einzigen Passagiere, weil er nur bis zum Parkplatz und nicht hinaus nach Rauris fährt, und daher gibt es auch noch eine nette Unterhaltung über lokal Interessantes, denn der bajuwarische Fahrer ist der Liebe wegen in Rauris seit einigen Jahren ansässig und weiß allerhand zu erzählen. Zum Schluss noch ein paar Bilder von diesem Tag im Seidlwinkeltal. Das war jedenfalls der netteste Tag unserer Gasteinwoche, bei mittlerem Wetter, aber erfreulicher Schwammerl- und Heidelbeerausbeute, immer eine Urlaubsnebenbeschäftigung….