Fast eine Expedition – Istrien zwischen Lovran und Buzet
12. Dezember 2018 von Bernhard Baumgartner
Wenn ich in meinem digitalen Bildarchiv den Ordner vom 28. Mai 2008 öffne, finde ich da 281 Bilder von Anni und mir. Aber trotz der Aufzeichnungen im “Urlaubskalender” kann ich mich in dieser Fülle erst orientieren, indem ich mit der Spezialkarte unsere Tour von Medveja aus nachvollziehe. Aber jetzt ist es gelungen – Annis Bilderalbum ist im Facebook: Wandertipp bernhard baumgartner zu finden, und mein umfangreicher Bericht für mein digitales Tourenbuch folgt hier.
LOVRAN ist sozusagen der Auftakt, dann fahren wir über Matulji zur Schnellstraße und durch den Ucka-Tunnel an die Nordseite des Bergmassivs. Gleich nach dem Tunnelportal findet man den Parkplatz für die erste Wanderung.
VELA DRAGA: In den eher breitflächigen unteren Hangabschnitte der Ucka ist dort ein gewaltiger Erosionstrichter ausgeschwemmt worden. Die harten Kalkeinlagerungen sind dabei stehengeblieben und bilden einen Wald von bizarren Felssäulen. Über die teils wandartige Umrahmung des Kessels blickt der Uckagipfel herab. Schutthalden wechseln mit dichtem submediterranem Waldbestand, Trockenrasen und Felssteppen, alles sonnendurchglüht schon Ende Mai. Berühmt wurde die Vela Draga als extremes Klettergebiet, das schon vom Altmeister der “Sestogradisten” Emilio Comici und seinen kroatischen Nachfolgern berühmt gemacht wurde. Botanisch ebenfalls interessant – Krugglocke, Bienen-Ragwurz, Alpen-Seidelbast (habe ich aktuell damals notiert).
Nach einer schon mittägigen Rast fahren wir von der Richtung Labin führenden Hauptstraße hinauf nach BOLJUN. Die hochgelegene “Burgstadt” ist ein typisches Beispiel für einst sehr bedeutende Ansiedlungen im zentralen Istrien, die Gründung und Ausbau (oft bis in die Antike zurückreichend) der Lage an frühen Verkehrsrouten, Grenzpunkten oder ihrer Eignung als Festungen verdankten. Auch Boljun hat eine hochragende Burgruine, neben einzelnen noch bewohnten und daher instandgehaltenen Häusern gibt es aber auch verfallene Wohnstätten. Ein Blick in den Kunsthistorischen Führer lohnt in jedem Fall! Hier: Wachposten in prähistorischer Zeit, römische Militärgarnison an der Römerstraße, 1064 erstmals urkundlich. Die älteste Kirche der Hll. Kosmas und Damian fällt durch ihr zweibogiges Fenster und den (wie üblich) der Giebelwand aufgesetzten steinernen Glockenstuhl auf (allerdings leer und verschlossen). Die St. Georg- Pfarrkirche mit Campanile wurde 1641 erbaut, laut einer lateinischen und glagolitischen Inschrifttafel außen an der Apsis. Daneben befindet sich eine Loggia, einst vom Ortsvorsteher und Altenrat benützt. Durch die Höhelage über dem “Schachbrett” der bebauten Felder im Talgrund ragt beherrschend die Ucka. Siehe auch meinen Blog-Bericht von Mai 2018!
Das letzte Bild zeigt den Blick von der höher gelegenen Vela Draga zur Bergsiedlung Boljun, die Umgebung ist geprägt durch Talfurchen mit hervortretendem Flysch (wie wir später noch sehen werden) und dazwischen teils felsig dahinziehenden, aber abwechselnd von Wald und Kulturland bedeckten Höhenrücken. Wir entdecken bei der Weiterfahrt gleich neben der Straße einen überaus ergiebigen botanischen Standort (auch 2010 und 2018 aufgesucht, zuletzt allerdings durch Neutrassierung etwas abseits der Hauptstraße).
BOLJUNSKER “PRACHTWIESEN” (leider weiß ich keinen kroatischen Begriff für ein solches Biotop):
Beim Weiler Brnci mit seinem stellenweise bewaldeten Hügel zieht eine Wiesenmulde nordseitig hinab ins Tal, wo die Straßen nach Boljun und Paz abzweigen (die neue Straße quert den Waldrücken, der alte Straßenverlauf ist noch erhalten, auch oberhalb interessant). Von den Eichen- und Föhrenbestanden verlaufen zuerst magere Wiesenflächen abwärts, die im Talgrund zunehmend etwas sumpfig werden und vom mäandrierenden Bach durchzogen werden. Die Bilder zeigen den Blütenstand Ende Mai.
Über das wunderschön gelegene Bergdorf Paz und einen Sattel kommen wir nordwärts über die Höhen hinüber in ein fruchtbares Tal und nach Cerovlje mit Kreuzung von Schnellstraße und Bahnlinie. Hier zweigt wieder nordwärts eine Seitenstraße ab – in Richtung auf das recht ferne Buzet, eigentlich eine wichtige und gut ausgebaute, wenn auch sehr kurvenreiche Verbindung mit äußerst blumigen Straßenrändern. Auf der Berghöhe geht es eigentlich rechts weiter, links abseits kommt man zu einer schönen Aussicht auf den großen Butoniga-Stausee (Trinkwasserspeicher), und so landen wir (wie schon einmal) im malerischsten aller uns bekannten zentralistrischen Bergdörfer, in dem von mir schon mehrfach beschriebenen und gepriesenen Draguc (auch heuer besucht).
DRAGUC / DRAGUCCIO
Die zweite Ortsbezeichnung erinnert an die Zugehörigkeit Istriens zu Italien (bis 1797 Venedig). Baulich war der Ort ursprünglich ein von Gebäuden umschlossener Hof, die im 14. Jahrhundert errichteten Befestigungsmauern entstanden während der 1523 endenden Zugehörigkeit zu Österreich! Reste davon sind noch erkennbar, ganz eigenartig ist die Gliederung des geschlossen verbauten Areals durch eine “mittlere Hauptstraße”, die Seitenstraßen außerhalb entlang der ehemaligen Bastionen, die in manchen Steinhäusern noch erhalten sind. Draguc hat drei Kirchen – gleich am Ortseingang die Friedhofskirche St. Elisäus (12. Jahrhundert mit Fresken von 200 Jahren danach, der Altartisch ist eine Steinblock mit römischer Inschrift). Danach folgt die 1641 erbaute Marienkirche, und auf dem geräumigen Hauptplatz steht die Pfarrkiche zum Hl. Kreuz aus dem 15. Jahrhundert (Mauer eines Befestigungsturmes in der Apsis), Glockenturm von 1847, an seinem Fuß ist eine alte Glocke abgestellt. Das Juwel von Draguc ist aber die abseits am nördlichen Rand des Hangvorsprunges stehende Kirche St. Rochus, tolle Überraschung ist die totale Ausmalung des Innenraums mit Fresken an der gotischen Bogendecke des Antonio da Padova, signiert 1529 bis 1537, ebenfalls datiert der Glockenaufsatz von 1530 und die mit einem kunstvollen Dachstuhl versehene Loggia von 1565.
Zurück zum idyllischen Hauptplatz mit seinem Brunnen und mächtigen Zürgelbäumen geht es durch den Portikus der Gehöfte, seit jeher schon der Abstellplatz für alte Wagen und Ackergeräte. Für uns ist es jetzt höchste Zeit für eine Einkehr – das Bufé Zora bietet sich mit gemütlichem “Schanigarten” dazu vorzüglich an, es gibt Kaffee, auch Wein und Mineral, Käse und Proschiutto… einmalig unter einem Flor uns unbekannter Blüten… Danach gehen wir durch eine der Straßen zurück zum Ortseingang und wandern noch gegenüber einen Hohlweg neben äußerst blumenreichem Wiesenhang entlang aufwärts (leider jetzt nur mehr eine Kulturfläche, wie 2018 erlebt).
Den Violetten Dingel und die Feuerlilien haben wir bei der Weiterfahrt aufgenommen – eine wunderschöne Höhenroute über die kleinen, von Obst- und Weingärten umgebenen Bergdörfer Kruzvari und Prodani. Dann geht es steiler ins Tal hinab nach Buzet, das wir bei dieser Gelegenheit aber nicht näher besichtigen, vielmehr beschäftigt uns die Suche nach einem Bancomat, nachdem wir unsere letzten Kunar bei der Zora in Draguc verspeist und vertrunken haben. Jetzt ist es schon 15 Uhr, aber unsere Tour geht noch weiter! Buzet ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt – westwärts führt das Mirnatal an Motovun vorbei ins nordwestliche Istrien, von Norden kommt die Zufahrt über den Socerga-Pass von der Koper / Triest – Autobahn her. Richtung Lupglav und Ucka.Tunnels verläuft die Hauptstraße, der wir aber nur bis zum sehenswerten, aber an diesem Tag nicht berücksichtigten Burgort Roc folgen. Denn hier erfolgt die Abzweigung zu einem Kuriosum, eine von den angeblichsten “kleinsten Städten der Welt”….
HUM / ital. COLMO
Was für Boljun angemerkt wurde, gilt in noch größerem Maß auch für Hum. Die heute nur historisch-touristisch bemerkenswerte, aber trotzdem viel besuchte mittelalterliche Siedlung des 11. / 12. Jahrhunderts wird von Mauern mit einem doppelten Stadttor, einem runden und drei quadratischen Türmen umgeben (einer davon der heutige Campanile. Manche Häuser sind als Besucherattraktion und zur Einkehr hergerichtet, bemerkenswert sind Steintafeln mit glagolitischen (altkroatischen) Inschriften, entlang der Zufahrt wurde 1977 mit Steinmonumenten die “Glagolitische Allee” eingerichtet. Jedenfalls idyllischer Eindruck, überaus lohnend außerdem die Naturumgebung, durch die wir einer kleinen Seitenstraße folgend (Bauernlandschaft mit den Weilern Mrzilci und Erkovici) nach Lupoglav kommen. Orchideen gibt es hier überall in Fülle und auch sonst botanische Eindrücke, aber voll überraschend sind die “Flyschgebirgsformen” vor allem vor der Bahnkreuzung!
Bei Lupoglav vereinigt sich die von Buzet kommende Hauptverkehrsroute mit der Schnellstraße und Eisenbahn vom westlichen Pacin her und verläuft auf die Ucka zu. Wir bleiben entlang dieser Strecke auf einer verwinkelten Seitenstraße und landen wie schon vormittags beim Parkplatz der Vela Draga neben dem Ucka-Straßentunnel. Hier heißt es aufpassen, denn nun heißt es, die richtige Abzweigung zur Ucka-Passstraße zu finden! Diese kurvt gleich zügig durch die Hangwälder über 500 Höhenmeter hinauf und kommt dabei zu einem wahrhaften Höhepunkt von Natur und Geschichte:
Die Quelle Kaiser Joseph II.
Wegen der Parkplätze und des Steinmonuments der Quellfassung kann man diese Karsterscheinung kaum übersehen, die schon seit jeher bei der Überwindung des sonst wasserarmen Kalkgebirges ein wichtiger Rastpunkt war. Auch wir füllen unsere leeren (und zum Glück aufgehobenen) Mineralwasserflaschen mit diesem köstlichen Nass. Dabei fallen uns natürlich auch die benachbarten Wiesenmulden auf – ein fantastischer botanischer Standort, ebenso die Hänge und Lichtungen wenig oberhalb. Ende Mai blühen hier das Durchblätterte Läusekraut (früher Stengelloses Läusekraut, sonst kaum noch gesehen), Rundknolliger Aronstab und vor allem eine Fülle von Pfingstrosen (allerdings nicht die gesuchte Korallen-Pfingstrose wie unsere Rarität “Göllerrose”, sondern Paeonia officinalis – im Naturvorkommen).
Zu nennen sind noch Kugelorchis (Traunsteinera globosa) und Helm-Knabenkraut, zahlreich sind die Fruchtstände von Pulsatilla montana (?; blühend gesehen auf der Korita). Die Fahrt über die Passhöhe Poklon mit ihren vielen Kurven, aber nur mehr wenig, der Abendstunde entsprechendem Verkehr verlangt uns nach diesem langen Tag noch etwas Konzentration ab. Aber wir kommen gut über Icici und Lovran wieder in Medveja an. Jetzt fehlen uns nur mehr ein schöner Badetag und ein Ausflug über die “Istrische Burgenstraße”!