MARTELL – das schönste Tal im Nationalpark Stilfserjoch?
1. Dezember 2018 von Bernhard Baumgartner
Eigentlich ist das Stilfserjoch unmaßgeblich für den italienisch-südtirolischen Nationalpark rings um den Ortler, der übrigens im dessen Namen gar nicht aufscheint. Bevor noch die heute schon zahlreicheren Gletscherschigebiete eingerichtet wurden, galt aber das Stilfserjoch als Hauptanziehungspunkt für Schitraining und selbst im Sommer schneehungrige Pistenfahrer. Als Nationalpark sind die Hochtäler rund um den Ortler – viel mehr noch als in den Hohen Tauern – durch die italienische Energiewirtschaft bereits ab den 1950/60er Jahren intensiv “bearbeitet” (d. h. verwüstet) worden, egal ob im Süden Richtung Trentino und Val di Sole oder auf der südtiroler Seite. Besonders im Ultental, das durch den Gletscherschwund eigentlich relativ unergiebig geworden ist. Sulden und Trafoi sind ja noch von Kraftwerken ziemlich verschont geblieben, wohl weil das Gelände dort einfach für große Stauseen ungeeignet ist. So erscheint es umso mehr als Glücksfall, dass im Martelltal nur ein großer Speichersee angelegt wurde und talabwärts und noch mehr in der Hochregion die Umwelt auf dem Status des frühen 20. Jahrhunderts verblieben ist. Daher gilt heute das Martell als schönstes Gebirgstal der Ortlergruppe, und nicht umsonst sind wir bereits dreimal dort gewandert, allerdings oberhalb des Zufrittstausees. Einmal waren wir sogar auf der Sattelhöhe zum Martell, nämlich 2002 von Sulden her auf dem Madritschjoch, wo man ganz leicht auf den Dreitausender Schöntaufspitze steigen kann. Heuer im September erwischten wir nur einen späten Halbtag mit einem Stück des neuen Plima-Schluchtweges (wie im Blog und im Facebook schon berichtet), Nun möchte ich mich auf eine Tour im Juni 2006 und im Oktober 2011 beziehen, weil mein digitales Tourenbuch darüber noch kaum etwas enthält.
Dienstag, 13. Juni 2006
Von Lana Zufahrt ins Vinschgau und durch das Martelltal bis zum Parkplatz vor dem ehemaligen Hotel Paradies. Hier heroben herrscht noch der Frühling – die Lärchen zeigen gerade ihr erstes Grün, in den Feuchtwiesen blühen Mehlprimeln, an den ebenfalls feuchten Wegrändern prangt der “Rote Speik” (wohl nach damaliger Bestimmung: Primula hirsuta / Behaarte Primel). Wir nehmen den “Schattentalweg” nahe der wild in Riesenblöcke und Gletscherschliffe eingerissenen Plimaschlucht (damals und auch 2011 noch nicht als Erlebnisweg präsentiert). Eigentlich ist das der Hüttenzustieg Richtung Martellhütte, den wir aber nur bis in das relativ flache Hochtal begehen. In dieser Höhenlage so um 2000 m ist die Flora einfach fantastisch! Dort wartet aber noch eine andere Überraschung auf uns… Zuerst aber zur Flora, die einige Besonderheiten aufweist:
Mehlprimeln, Behaarte Primel, Silikat-Glockenenzian, Schwefel- Anemone und (nicht im Bild) Steinröschen (Kahles / Daphne striata), Trollblumen… Das anschließende Hochtal (ein eiszeitlicher, von den Gletschern des Cevedale ausgeschürfter Trog) ist eigentlich noch im Vorfrühlingszustand, aber noch mehr beeindruckt eine weitgezogener Blockwall mit der Jahreszahl 1893 – es ist ein Schutzwall vor den im 19. Jahrhundert immer wieder ausbrechenden Eisseen! Darüber, wie auch über die weitere interessante Natur und Geschichte des Martells kann man beim Googlen besonders ausführlich nachlesen: Martelltal / Wikipedia Martell. Der Talname kommt von dem über die Steilstufe seitens der Martellhütte herabgischtenden gewaltigen Wasserfall (gespeist von den Eisfeldern der Veneziaspitzen) – “Zu Fall” gleichbedeutend mit Zufall, die nahe Schutzhütte heißt (neben ihrem italienischen Namen) daher auch Zufallhütte.
Der Weiße Frühlingskrokus wird wohl Crocus albiflorus sein, der Knospe nach zu schließen ist die weiße Anemonenblüte eher die Frühlings-Küchenschelle (Potentilla verna), typisch für die kalkfreien Gesteine dieses Abschnitts die eben blühende Gemsheide, aber die letzte weiße Blüte mit schmalen Blättern – hat sich dann gerausgestellt und zum Glück fotografiert, es ist der Pyrenäen-Hahnenfuß! Die Blockmauer haben wir zu wenig beachtet und erst im Nachhinein ihre Bedeutung erfahren (sie schützte nach dem verheerenden Gletscherausbruch von 1891 und vorher bereits im Jahr 1894 das Martelltal vor dem Wassersturz), die beiden Bilder sind entsprechend von später (Oktober 2011).
Den Abstieg nehmen wir dann, an der Zufallhütte vorbei, und kommen so wieder über die “Schluchtbrücke” zum Ausgangspunkt zurück. Ein ganz ausgiebiger Tag, aber fotografisch noch eindrucksvoller im Herbstkleid (Oktober 2011).
Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade mit Krücken (noch vor Knieoperation 2013) unterwegs, und trotzdem sind wir die gleiche Runde marschiert, sogar mit Einkehr in der Zufallhütte auf der Terrasse im noch angenehmen Herbstsonnenschein. Die Bilder kommen (zumindest vorläufig) nur in meinem Facebook: Wandertipp bernhard baumgartner (weil sie dort besser präsentiert werden können als im Kleinbildmodus der Blogseite, noch immer nicht ändern können…).