Naturschutzgebiet Pischelsdorfer Wiesen – pannonische Steppe auf Alpengrundwasser
10. Juli 2019 von Bernhard Baumgartner
Was an Winterschnee auf den Hochalpen von Schneeberg, Rax und Schneealpe schmilzt, gelangt – durch den Regenreichtum der Hochregion verstärkt – als Hochquellenwasser nach Wien, eine Köstlichkeit, um die viele Großstädte die Wiener beneiden können. Aber dennoch fließt ein viel größerer Teil der Bergwässer hinaus in die Ebene des (inneralpinen) Wiener Beckens. Im Steinfeld bei Wiener Neustadt noch tief unter den Schotterablagerungn der Alpenbäche verborgen, tritt das kalte und kalkreiche Grundwasser nördlich davon in der sog. Feuchten Ebene zu Tage. Nicht umsonst ist die Mitterndorfer Senke der größte Wasserspeicher für die Bundeshauptstadt. Dort erstrecken sich über leicht hügeligem Gelände fast endlose Ackerfluren, von spärlichen Baumreihen und Windschutzgürteln und Laubwaldrestbeständen unterbrochen. Einst dehnten sich Hutweiden, Gras- und Baumsteppen zwischen noch spärlicherem Ackerland aus, seit der Industrialisierung auch vielfach in Betriebs- und Wohngebiete verwandelt. Nur in spärlichen Resten hat sich die ursprüngliche Landschaft mit ihrer typischen Vegetation (und Tierwelt) erhalten – dazu gehören als Flachmoor- und Feuchtwiesen die Brunnlust bei Moosbrunn und – das mehrfache Ziel meiner Exkursionen – das Naturschutzgebiet Pischelsdorfer Wiesen des Naturschutzbundes Niederösterreich.
Zum Vergleich die aktuelle Österr. Karte (im grünen Kreis das Naturschutzgebiet) und eine alte Landesaufnahme von derselben Gegend. Die Pischelsdorfer Wiesen heißen eigentlich Fischawiesen, wie daraus hervorgeht, und die Geländeformen gehören nicht zu der nordöstlich verlaufenden Fischa, sondern zum kleinen Fürbach, der nur wenig in Erscheinung tritt (außer zwischen den begrenzenden Baum- und Strauchzeilen). Die Zufahrt erfolgt über Grammatneusiedl, von Himberg kommend beim Kreisverkehr in der Ortsmitte geradeaus weiter, dann bald zwischen den alten Wohnhäusern von Neu-Reisenberg. Dort befand sich bis in die Zwischenkriegszeit eine Spinnerei, heute noch an einem hohen Schornstein erkennbar, und um 1930 wurde eine überaus bekannte und wichtige Sozialstudie über die notleidenden Bewohner dieser Örtlichkeit verfasst – die Arbeitslosen von Marienthal. Geradeaus auf der Straße Richtung Reisenberg weiter (Bahnübersetzung) weiterfahrend, erblickt man linksseitig auf einer jüngst abgeholzten Fläche (2017) das Wasserwerk der EVN. Gleich an deren Ende zweigt links ein Feldfahrweg ab, der den Fürbach entlang führt, zweimal von Fahrwegen (beim ersten typischer Brückenrest) gequert, zuletzt in einem kleinen Waldvorsprung, bis nach einer Kurve (Infotafel des Naturschutzgebietes) der Bahndamm der viel befahrenen Ostbahn auftaucht.
Bei meinen Verwandtschaftsbesuchen in Maria Lanzendorf habe ich immer wieder zu verschiedenen Jahreszeiten diesen Ausflug unternommen, einmal sogar mit dem ortkundigen Naturschützer und Botaniker Herrn Palme (Neu-Reisenberg). Allerdings ist das Schutzgebiet nicht zum Herumwaten in den Grasfluren geeignet (obwohl ich sogar einmal ein Riesenpicknick von Motorradfahrern erlebt habe…). Es ist nicht die Vegetation, die darunter leiden würde, sondern die seltene Vogelwelt, die nicht gestört werden darf. Im späten Jahr wird übrigens die größte Fläche einfach abgemäht bzw. gemulcht, um die Flora vor dem Überwuchern einzelner Invasivarten und dem randlichen Verbuschen zu bewahren.
Exkursion am 9. Juli: Vom Frühjahr an mit Kuhschellen u. a. pannonischen Frühblühern, auch mit Orchideen, bieten die Fischawiesen ein prächtiges Bild. Im Hochsommer sind jedoch die erhöhten Flächen schon ausgetrocknet und teilweise verdörrt. Meine Ausbeute – Graslilien mit verschiedenen Flockenblumen, Pannonische Kartäusernelke auch mit eingefangenem Pappus, ein Lauch (Kantenlauch?), Österr. Lein (oder Zottiger Lein? eher nicht), Gelb-Lein. Den Schachbrettfalter konnte ich gerade noch erwischen, denn der Wind war zu schwach, dass sich die Schmetterlinge anklammern mussten und so leichter zu fotografieren wären. Die Krabbenspinne auf dem abgeblühten Natternkopf war da nur ein geringes Problem, und sonst hüpfte und schwirrte es ringsum, dass einem Insektenkundler das Herz aufgegangen wäre!
Ich halte mich eher an die Botanik, und vor allem muss ich meine Besichtigung möglichst schonungsvoll anlegen – obwohl Fahrspuren quer über die Flächen führen und ich sogar schon einmal ein Großpicknick übel aussehender Motorradbiker beobachten konnte! Von erhöhten Flächen habe ich deshalb vorher gesprochen, weil in das eigentlich brettlebene Relief mehrere Mulden bogenförmig eingelagert sind. Diese rühren aber sicher nicht von der viel weiter im Nordwesen fließenden Fischa her, sondern eher vom heute so bedeutungslosen, vielleicht einmal mächtigeren Fürbach her. Im Gegensatz zu den eher bleich wirkenden Flächen sind diese Mulden noch frisch grün, denn auf ihren Grund tritt kaltes und kalkhaltiges Grundwasser an die Oberfläche. Jetzt sind sie freilich längst trocken und damit auch etwa die Mehlprimeln und der nur mehr an Restblättern erkennbare Weiße Germer verschwunden. Dafür gibt es Besonderheiten – zunächst noch eher trivial Gilbweiderich und Blutweiderich, hoch stehender Teufelsabbiss, dann aber noch schon ziemlich abgeblühte und bereits fruchtende Gladiolen. Eine Pracht bietet der Lungenenzian, und sogar tatsächlich konnte ich mehrere Prachtnelken entdecken. Mir fehlte nur noch die absolute Besonderheit – die Becherglocke / Adenophora, ein Glockenblumengewächs mit charakteristisch lang aus der Blüte hängenden Narben, vielfach schon ausgestorben und (wie die Standort) sehr selten geworden, ein einziges Exemplar gefunden…
Gegen den Bahndamm zu befindet sich links ein trockene ehemalige Senke, von Birken begrenzt, an deren Boden Bachschotter hervortritt. Rechts des Fahrweges gibt es neben Weiden und Baumreihen eine Feuchtwiese mit Schilf am Rand und zu gewissen Zeiten (nicht jetzt) einem stattlichen Bestand von Sumpf-Wolfsmilch. Am Rückweg kam ich, neben zum Teil schon abgeernteten Getreidefeldern auch an einem Acker mit dekorativ blühenden Sonnenblumen vorbei – auch eine Pracht, wenn auch vom Agrarbestand herrührend…
Über die Feldwege kann man übrigens eine schöne Radrunde von Neu-Reisenberg oder von Grammatneusiedl unternehmen!