Hochgebirgsimpressionen in Südtirol – Ortlergruppe mit Sulden und Martell
27. November 2018 von Bernhard Baumgartner
Auch nach einer längeren Tagesfahrt (wie mit 233 Bergstraßenkilometern zum Tonalepass und Tovelsee) dauert es nur ein paar Tage, bis wir wieder für eine solche Tour startbereit sind. Neben neuen Zielen pflegen wir natürlich auch die Erinnerungen, so waren wir 2002 von Nauders in meinem “Sechzigerurlaub” in Sulden und sind dort bis auf den Dreitausender Hintere Schöntaufspitze hinaufgekommen. Überwältigend war das Gipfeldreigestirn von Ortler – Zebru – Königssspitze, noch dazu im Neuschneekleid eines späten Augusttages. Also nicht die lange Fahrt scheuen, sondern nachschauen, wie es aktuell dort ausschaut… Gleich vorweggenommen – am eindrucksvollsten und eigentlich deprimiernd war der massive Gletscherschwund, den wir dort erlebten und an Hand unserer Vergleichsbilder auch nachvollziehen können. Motto: Schotter statt Eis!
Donnerstag, 27. September 2018
Warmluft und klare Sicht, mit diesen besten Voraussetzungen starten wir von Lana in den Vinschgau hinein. Diese Hauptstraße ist zwar recht ausgelastet, aber die Fahrt verläuft ohne wesentliche Verzögerungen, durch die wechselnden Bildern und die daran geknüpften Erinnerungen von unseren zahlreichen Touren allein schon abwechslungsreich. Von Prad geht es in die schluchtigen Täler der Ortlergruppe über Gomagoi nach Sulden hinauf, überraschend viele Radfahrer lösen die Autos ab und sind unterwegs zur Highlitghtstrecke Stilfser Joch. Sulden hat nur mehr wenig Altes und ist ein typisches Touristendorf – Hauptziel für die Besucher: die kühn angelegte Großseilbahn hinauf zur Schaubachhütte. 1985 m bis 2581 m, alles neu ausgebaut, die bekannte Schutzhütte versteckt sich eher am Rand. Dominierend sind hier die für Schipisten zerpflügten ehemaligen Almwiesen, eine steinige Angelegenheit und jetzt im Herbst auch sehr blumenarm. Wir fragen uns schon, was wir hier heroben anfangen sollen. Vor 16 Jahren war das noch anders, viel unberührter und eine schöne Wanderung trotz Neuschnee hinauf zum Madritschjoch auf 3148 m, wo sogar Mountainbiker ins Martelltal hinüber fuhren, und auf die nahe Schöntaufspitze.
Eigentlich ist uns die Lust vergangen, über diese alpine Ruderallandschaft zu wandern, bis wir endlich ins wirklich alpine Urland kommen! So entscheiden wir uns zu einer “Moränenrunde” im Nahbereich der Bergstation, sozusagen im Bannkreis des dreifachen Gipfelmajestät. Breite Wege führen über die Moränen hinweg, aber sie erreichen nicht einmal den Rand der von Schutt überdeckten Gletschermulde des einst so gewaltigen Suldenferners, die vom Ortler bis zur Königsspitze reicht. Eigentlich als eisbedecktes Hochgebirge zeigen sich die anschließenden Nebengipfel, wie die dem Cevedale vorgelagerten Eissee- und Suldenspitzen. Der Eindruck einer sterbenden Gletscherwelt herrscht allerdings unterhalb der hohen Grate und ihrer doch noch immer stattlichen Eisfelder.
Besonders die beiden letzten Bilder sind typisch – der Hängegletscher unterhalb der Königsspitze-Nordwand hat sich von einem geschlossenen Eisfall in einen mit Felsfenster verwandelt!
So schauen 2018 der Gletscherrand des Suldenferners und das Ortlerpanorama der Schaubachhütte aus! Nach einem einstündigen Spaziergang haben wir genug von dieser Ödnis und fahren mittags (gerade noch rechtszeitig vor dem Seilbahnstop) wieder hinunter nach Sulden, um dort das Messner-Mountain-Museum zu besuchen, leider wieder erfolgslos, denn dort wäre bis 14 Uhr Mittagspause. Diese halten wir halt davor, schauen uns ein wenig um und treten die Rückfahrt durch den Vinschgau talauswärts an.
Also Schluss mit Ortlernostalgie! Was sollen wir jetzt mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen? Eigentlich ein Witz, bei all den Möglichkeiten, die der Vinschgau bietet. Aber marschiert sind wir auf jeden Fall noch viel zu wenig für die lange Anfahrt (von Lana nach Sulden 78 km, verhältnismäßig wenig km, aber langwierig). Also beschließen wir, die Nostalgie gleich fortzusetzen, und fahren von Latsch / Goldrain ins Martelltal hinauf, an das wir auch schöne Erinnerungen haben. Kurzer Aufenthalt noch durch einen gequerten Almabtrieb, dann immer höher die schmale Werksstraße und Ausflugsstrecke mit ihren vielen Kehren am Zufritt-Stausee vorbei bis zum Parkplatz Schönblick. Abmarsch zur Tour Richtung Zufallhütte erst um 15 Uhr, und das gegen Ende September! Nicht gerade klug, Ziel nicht erreicht, aber dafür die schönsten Vorabendstimmungen eingefangen….
Trotz des sich schon leerenden Parkplatzes haben wir bei der Auffahrt kaum Gegenverkehr, auch angenehm, und auf den Wanderwegen wird es auch schon ruhig – und kühler und vor allem schattig! Ein arger Nachteil für den neu eingerichteten Erlebnisweg entlang der Plimaschlucht mit seinen sensationellen Aussichts- oder besser Einblickpunkten. Gerade noch die ersten beiden Schaukanzeln können wir halbwegs nützen (mehr mit den Augen, kaum mit der Kamera), daher zweigen wir bald danach Richtung Payerhütte ab. Diese kleine Holzhütte ist museal dem Arktis- und Ortlererschließen Julius Payer gewidmet, der hier als militärischer Kartograph, Erstbesteiger und echter Forscher unterwegs war und sich in der dürftigen Unterkunft längste Zeit aufgehalten hat.
Oberhalb erstrecken sich noch knapp unter der Waldgrenze fantastische Lärchen-Zirben-Wiesen, neben den Gletscherschliffen gibt es sogar noch schön reife Preiselbeeren. Also “Arbeit” genug, und dazu sind wir gerade immer mehr am Rand der letzten Sonnenstrahlen, die von der Talkante der Zufallhütte herableuchten. Dazu noch Lärchengold und erste Schatten, vom hohen Grat im Süden leuchten die Eisfelder der selten besuchten Bergspitzen (u. a. Veneziaspitzen, alle über 3000 m hoch und völlig einsam, am ehesten von der Martellhütte zu erreichen, wo es ins Trentino nach Pejo hinübergeht – lauter Sehnsuchtsorte…).
Unser Querweg mündet zum Glück in den Hüttenweg der Zufallhütte, wir müssen uns aber schon im langsamen Dämmerlicht an den Abstieg machen – zum Glück haben wir das Gipfelpanorama von dort oben mit Cevedale und Madritschspitzen schon 2006 im Juni und 2011 im Oktober genießen können:
Herunter herrschen nun schon die Schatten, aber einzelne Lärchen leuchten trotzdem noch golden auf (wie im Oktober 2017 im Ultental zum Weißbrunnersee), die Herbststimmungen können zwar nicht die Blumenpracht des Frühsommers ersetzen, entschädigen aber doch in dieser späten Jahreszeit. Letzter Rückblick dann unten beim Zufrittsee, bevor wir an den zahlreichen Beerenobstplantagen vorbei durchs Martelltal hinaus zum Vinschgau gleiten, und zufrieden sind wir auch, hat doch unsere späte Wanderung auch noch mehr als zwei Stunden gedauert, länger ging´s wegen der einbrechenden Finsternis ohnehin nicht. Wieder gut in Lana gelandet, nach 203 Fahrkilometern, und nur mehr zwei “Lanatage” vor uns….