Südtiroler Deutschnonsberg: Das Bergdorf Proveis
20. November 2017 von Bernhard Baumgartner
Bei unseren wiederholten Südtiroltouren (von Lana aus) kamen wir schon über den Gampenpass zum Marienwallfahrtsort Unserfrau im Walde und nach St. Felix. Beide Gemeinden liegen zwar bereits an der Südseite des Gebirgskammes zwischen “deutschem” und “welschem” Gebiet, wurden aber von der Tiroler Seite her besiedelt – daher der Name Deutschnonsberg. Westlich dieser beiden Orte und hoch über den nach Süden weisenden Tälern, wo man schon in die Nähe der Brenta kommt, befinden sich zwei noch viel abgelegenere Dörfer – PROVEIS und LAUREIN. Beide gehören seit 1972 (der unter Kreisky erreichten effektiven Südtirol-Autonomie) ebenfalls zur Provinz Bozen und sind seit dem Mittelalter vom Ultental her besiedelt worden (vorher ein Almgebiet der talabwärts gelegenen Orte der Provinz Trient). Erreichbar waren Proveis und Laurein aber nur über den weiten Umweg von Fondo im italienischen Nonsberg – bis 1999 nach langwierigen Bestrebungen die Straße von St. Pankraz im Ultental über das Hofmahdjoch gebaut wurde.
Uns war nur ungefähr bekannt, dass aus dem vorderen Ultental eine neue Passstraße hinüber zu diesen Bergdörfern führen sollte. So richtig aufmerksam auf dieses (für unseren Urlaub in Lana besonders lohnendes) Ziel wurden wir durch eine ORF-Sendung von Sepp Forcher vor ein paar Monaten, wobei er auch noch einen ganz außerordentlichen Wallfahrtsort präsentierte (über diesen später).
Urlaubsfahrt am Mittwoch, 18. Oktober 2017
Dritter Urlaubstag (nach Passeiertal und Schloss Trauttmansdorff), ideales Wetter – wolkenlos, im Tal leicht dunstig, morgens kühl, tagsüber sehr mild. Start in Lana vor 9 Uhr und kurvig samt Baustellen hinauf ins stark befahrene Ultental, endlich die Abzweigung Richtung Proveis, schon wird es vollkommen ruhig… Um einen noch mit Bauernhöfen besetzten Bergrücken herum geht es in das zunehmend urige Marauntal hinein. Die Straße ist bestens ausgebaut, mit Lawinengalerien und schließlich einem langen Scheiteltunnel unter dem Hofmahdjoch. Dann öffnet sich die Landschaft in die “südliche Weite”, möchte man meinen, aber noch folgt zügig bergab ein enger Graben, dann scharf rechts die Seitenstraße hinauf nach Proveis.
In Anton von Lutterotti´s ”Südtiroler Landeskunde” (Arthesia 2000) heißt es treffend: “In Proveis vermeint man eine besonders freie Luft zu atmen”. Eine freundliche sonnige Weite liegt über dem hohen Hang, voraus die hochragende Kirche, ein paar enger gescharte Häuser, sonst nur Wiesen und Baumgruppen, über die Gegend verstreute Gehöfte.
Das einzige von uns bemerkte Gasthaus und der einzigartige Kaufladen!
Dort werden wir uns nachher noch eine genaue Karte vom Nonsberg besorgen und den typischen, im Haus hergestellten “Proveiser Speck” mitnehmen. Aber vorerst lockt uns die Kirche, und dorthin geht man am blumigen Ortswappen vorbei durch den Friedhof.
Dieses Grabmal erinnert an den wohl berühmtesten Proveiser – Curat Franz Xaver Mitterer (+ 1899), auf den der Neubau der großen Kirche zurückgeht. Er sorgte sich aber vor allem auch um die seit altersher deutschsprachigen Bewohner (obwohl bereits vor langer Zeit den Pfarren unten im italienischsprachigen Nonsberg die Entsendung eines “teutschen” Priesters nach Proveis aufgetragen worden war). Um die Verdienstmöglichkeiten der Bergbauern zu erweitern, gründete er sogar Fachschulen (für Spitzenklöppelei und Korbflechterei). Aber auch ein anderer Denkstein ist uns aufgefallen:
Daneben pure Idylle, wie Lutterotti schreibt, verlockend zu einer Sommerfrische, obwohl sich der Tourismus vermutlich noch erst entwickeln muss in dieser erst kaum 20 Jahre mit der “Außenwelt” besser verbundenen Einschicht.
Der Turm der alten Kirche (bezeichnet 1543) steht frei neben dem im 19. Jahrhundert aufgeführten Langhausbau, der altertümlicher wirkt als er tatsächlich ist.
Daneben das Gemeindeamt (mit Bücherei, wie selbst in den kleinen Dörfern, sicher auch Arzt und Polizei – ein Carrabinieri in fast majestätischer Uniform ist mir bei der Orteinfahrt aufgefallen). Was es da alles gibt – gegenüber steht das Schulhaus, und die Kinder haben gerade Pause oder Turnstunde (erinnert mich an Annaberg). Ich kann mich nicht zurückhalten und marschiere geradewegs auf diese Szene zu, stelle mich der netten Frau Lehrerin vor und frage sie gleich ein wenig über ihren Dienstposten aus… Die gesamte Grundschule (1. bis 5. Schulstufe) hat zehn Kinder. Erinnert mich auch an Annaberg – bei meinem Dienstantritt hatte ich in der 4. bis 8. Schulstufe (gab es 1961 noch) insgesamt 36 Schüler, heute bringt die Gemeinde so um die 10 Kinder auf und freut sich jedes Jahr, wenn es ein paar mehr werden könnten… Aber immerhin besteht die Annaberger “Zwerglschule” so wie die in Proveis noch immer! Hoffentlich nimmt die Politik auch weiterhin ihre Verantwortung wahr… (und nicht nur Geld und Profit und Rationalisierung regieren die Welt).
Wer die Fotografin war, weiß ich leider nicht (eine Zweitlehrerin oder Hilfskraft), auch nicht ob die Lehrerin (hatte übrigens eine kräftige bestimmende Stimme) zufährt oder im Ort wohnt oder sogar hier heimisch ist. Immerhin haben Anni und ich dann beim Weiterweg von hinten ins Schulhaus geguckt – die Neugier hat sich ausgezahlt, dort sah man in den Computerraum, so viele Bildschirme wie Kinder draußen am Schulvorplatz gerade beim Foto!
Anschließend spazieren wir auf einer Runde um das Dorf bergwärts herum, vorbei am Neubau “Lehrershof” (ob dieser etwas mit der Schule zu tun hat?) zu den nächsten am Hang gelegenen Gehöften. Die baulichen Unterschiede sind auffallend, völlig neue Häuser, andere mit Resten aus einer eher dürftigen Vergangenheit, aber insgesamt “heim(at)lich” – nicht als Landsitze oder Feriendomizile, sondern Wohnsitz.
Kühl am Morgen, schon herbstlich eingeheizt, aber jetzt angenehme Sonnenwärme, bunte Buchen und Kirschbäume, das Hausackerl abgeerntet, manche Wiesen frisch gemistet… Der nächste Hof (Obergampen?) wirkt wie eine Burg, seine Altteile stehen anscheinend vor der Renovierung, die alten Reste erzählen aus einer noch schwereren und dürftigen Zeit… noch dazu in dieser deutsch sprechenden Enklave zuhöchst am Berg.
Quer über die Wiesen, die anscheinend zur Bewirtschaftung aufgeteilt sind, wandern wir wieder zum Dorf hinunter.
Wieder im Dorf – da gibt es die Anna-Kapelle, ein Christophorusbild im Steinrahmen und ein “Bauerngartl” für den Hausgebrauch (sogar mit Vorrichtung zu einer schützenden Abdeckung).
Haben wir bei unserer Ankunft eine kleine Besuchergruppe gesehen, ist es jetzt vor Mittag ganz ruhig geworden. Im “Bergladele” werkt eine junge freundliche Frau, und wir bekommen sogar eine genaue Karte vom Nonsberg, dazu noch den Proveiser Speck zum Mitnehmen. Was wir suchen und noch nicht genau orten können, ist die vom Sepp Forcher gezeigte Wallfahrtsstätte San Romedio. Doch auch dafür gibt uns die Bergladelefrau die nötigen Auskünfte mit, danke, wir werden sie nächstes Jahr (wenn alles gut geht) wieder aufsuchen und mehr von ihren Spezialitäten einkaufen.
Im Bergladele vorgewarnt nehmen wir nicht den Fahrweg über die Berghöhen weiter, sondern fahren hinunter in den tiefen Graben, talaus bis Schmieden und gerade noch rechtzeitig vorher abgezweigt hinauf in das nächste Bergdorf – Laurein.
Laurein wirkt nüchterner, weniger anheimelnd “tirolisch” als Proveis, obwohl weiter im Tal gelegen. Zum Ortsbild passt fast dieser historische Briefkasten – der könnte auch sicher alle möglichen alten Geschichten erzählen…
Wir hätten jetzt die Möglichkeit, über das Brezerjoch nach Castelfondo (von dort wurde in Völlan ein bemerkenswert uriger Käse angeboten!) und bis Fondo an der Gampenstraße zu fahren. Aber wir wollen ja noch das Felsenheiligtum San Romedio aufsuchen. Dazu geht es weiter hinunter ins Tal zu einem großen Stausee bei der sicher auch sehenswerten Stadt Cles. Wie weit wir nun schon gekommen sind, zeigen die Straßenschilder Richtung Madonna di Campiglio! Sobald wir aber den Abschluss des Lago Santa di Giustina überquert haben, sind wir schon an der Straße Richtung Fondo und Gampenpass. Irgendwo müssen wir in die Schlucht mit dem Heiligen Romedius! Aber die Beschilderungen sind dieses für uns zwar neuen, aber sicher lokal überaus berühmten Ortes würdig – die Abzweigung erfolgt in Sanzeno, und dort geht es beim nächsten Beitrag weiter… alles überraschend und eindrucksvoll!