Almsommer 2019 – letzter Tag am Wechsel
7. September 2019 von Bernhard Baumgartner
Nachdem ich im heurigen Frühjahr das südliche Niederösterreich in Bezug auf Naturschätze durchgearbeitet habe, ist geradezu angeraten, besonders die drei Viertel im Norden und Osten wieder “aufzufrischen”. Denn seit den intensiven Touren dort, etwa für das NATURERLEBNIS NÖ ist es schon recht lange her. Für Mittwoch, 4. September, war mit dem ausgezeichneten Wetterbericht also schon eine solche Tour fällig. Sollte es das südliche Waldviertel sein, um die neuen E-Bikes wieder zu mobilisieren? Oder vielleicht doch etwas ganz anderes, so nach dem auf dem Fulseck gekosteten Vorgeschmack? Nun, wir entschieden uns für das zentralalpine Stück im Südosten, noch dazu, weil ich Bilder von dort erst mühsam für einen Beitrag in letzter Zeit zusammensuchen hatte müssen. Und außerdem gab es im neuen SCHAUFENSTER der Volkskultur gerade meinen Blumenartikel über das Heidekraut…
Erster Schritt bei der Abfahrt – Jause bei “Baldrian” (Bäckerei Elisabeth Käppl) gekauft, dann durch das endlose Triestingtal zur Südautobahn, wo es recht flott bis ins Aspanger Tal weiterging. Die Landschaft bei Feistritz und Kirchberg am Wechsel schon länger nicht gesehen – wirklich anmutig – Voralpen in den Zentralalpen… Durch den Molzbachgraben dann auf der schmalen Bergstraße hinauf zur Steyersberger Schwaig, Überraschung – großzügig als Langlaufzentrum für die Panoramaloipe eingerichtet und voll stark besucht. Eigentlich war die Zufahrt dann doch nicht so lang erschienen, wie sie tatsächlich ist (kein Wunder, dass wir lieber ins Waldviertel oder ins Mariazeller Land fahren als in die südöstliche Ecke des Landes).
Das Wetter ist wirklich voll passend, klarer Himmel und Fernsicht (wenn auch etwas dunstig), vom Morgen her kühl mit angenehmer Tageswärme und dazu ein leicht frischer Südostwind. Schwalbenwurzenzian blüht, am Wegrand die hübschen “G´sichterl” vom Augentrost. An der gut besuchten Kranichberger Schwaig vorbei ist bald das Dreiländereck erreicht, nun geht es auf dem alten Bergweg den Schöberlriegel hinauf, begleitet von den Fichten der oberen Waldzone, dazwischen vielfach Heidelbeerstauden und die niedrigen Zwergstrauchheiden von Gämsheide (Blüte leider im Frühsommer versäumt) und Krähenbeeren. Sogar einen einzelnen Herrenpilzwinzling entdeckt Anni am Wegrand.
Die Pfade über den Hochwechsel sind typisch für “Urwege”, die seit ältesten Zeiten über das sanfte Gebirge nach Süden führten – abseits des “Hartbergs” bei Mönichkirchen und dem seit dem Mittelalter geförderten Semmeringpass. Eigentlich wirken sie wie seichte Hohlwege, die sich durch ihren mit abgerundeten Steinen wie gepflasterten Grund von den daneben entlang ziehenden kargen Silikatrasen (Bürstling u.a.) und Zwergstrauchheiden abheben. Zuerst am Schöberlriegel entlang, dann auf dem breitflächigen Umschussriegel wandert man über ausgebleichte Wiesenböden und zwischen darin eingelagerten dunkelgrünen, sich schon allmählich ins Rötliche verfärbenden Heidelbeerbüschen. Über der weitläufigen Höhenlandschaft wölbt sich ein der Himmel in unglaublichem Blau, einzelne Haufenwölkchen wirken wie darin schwimmende Schiffchen, und am Horizont tauchen die Alpengipfel auf – Rax und Schneealpe, dann der Schneeberg, und im Süden erkennt man das Steirische Randgebirge mit Hochlantsch und Schöckel.
Hier an der Waldgrenze befindet sich die eigenartigste Landschaftsszenerie und Pflanzenwelt des zentralalpinen Wechselgebietes, wie man sie in den Nordalpen nur auf den Schieferbergen der Grauwackenzone (etwa Turnauer Alm) finden kann. Die nur mehr bescheidene Wuchshöhen erreichenden Fichten haben häufig einen sogenannten Teppichwuchs mit am Boden ausgebreiteten untersten Ästen, aus den Rasen- und Heideböden stechen immer wieder Gneisblöcke hervor, meistens eigenartig abgerundet ähnlich den Waldviertler Wackelsteinen. Kaum eine Mulde ist trocken, denn abseits des Kammrückens sickern immer wieder kleine Rinnsale aus dem blockigen Grund, bilden spärliche Bachläufe oder verrieselnde Quellen und durchsetzen den Wald- und Almboden mit sumpfigen Stellen. Jetzt im Herbst blüht natürlich kaum mehr etwas – außer dem Heidekraut (Calluna), daneben fruchtende Heidel- und Preiselbeeren, spärlicher Rauschbeeren, Krähenbeerenfrüchte waren keine zu sehen, dafür die Blattrosetten der Arnika. Wenn man den Nordhang in der flacheren Zone unter dem Hochwechsel hinüberquert zum Wiesenhang oberhalb der Marienseer Schwaig, wird ein besonders intensiv ausgeprägtes Areal dieser zentralalpinen Block-Heide-Feuchtmulden durchquert. Dort gibt es dann sogar seltene Arten von kleinwüchsigen Weideröschen, Felsgruppen, trockene Stellen mit Bärlapp und verschiedenen Flechten (Rentierflechte und Isländisches Moos). Gemeinsam mit Prof. Karl Oswald ist diese eigenartige Gipfelflur im “Naturerlebnis NÖ” (Residenzverlag 2000) dokumentiert.
Vom schon nahen Hochwechselgipfel mit dem Wetterkoglerhaus blinken die dort abgestellten Autos herunter, wir wollen aber lieber abseits des durch die Mautstraße vom Steirischen her vielbesuchten höchsten Punktes bleiben und lassen uns daher auf dem im letzten Bild gezeigten Platzerl nieder – eine angenehme Mittagsrast mit Blick über den weiten Wechselkamm gegen Osten. Für den Abstieg bietet sich später der am Dreiländerweg abzweigende Forstweg durch die Wechselgrube an – neuerdings als Gegenstück zur Panoramaloipe als WEXL TRAIL eine bezeichnete Mountainbikeroute, die ganz schön frequentiert ist und von Mönichkirchen bis zum Feistritzsattel zieht, sogar hier herauf zum Wetterkoglerhaus (allerdings ziemlich holprig). Die Böschungen sind hier durch die Heidekrautblüte ebenso attraktiv wie der Blick über das Marienseer Tal gegen den Kampstein und die Berghöfe von Innerneuwald und St. Peter am Wechsel.
Die Wanderung geht ganz gemütlich zu Ende, allerdings ohne die erhoffte Beute an Heidelbeeren und Pilzen, und endet nach der Talfahrt durch den Molzbachgraben in Kirchberg am Wechsel. Womöglich ist Mittwoch nachmittags großer Ruhetag in diesem sonst recht netten Ort, aber kein einziges Gasthaus ist geöffnet, weder die “Tausendjährige Linde” noch der “Grüne Baum” oder der “Stiegenwirt”. Auffallend am kleinen Marktplatz die alten Fassaden mit Spruchband von 1913, eher dem nationalistischen Pfarrer Kernstock zuzuschreiben…. also machen wir uns ungestärkt an die Heimfahrt, dichter Verkehr auf der Südautobahn, aber zum Glück kein Stau… Als wohl letzter Tag des heurigen sonnigen und trockenen Almsommers hätte diese Tour nicht passender sein können und frischt die Erinnerung an die Wandererlebnisse dort wieder auf!