“Hahnwiese” – botanische Besonderheit und zeitgeschichtliche Kuriosität
5. April 2018 von Bernhard Baumgartner
Die “Hahnwiese” wird man auf keiner topografischen Karte finden können (wie so viele lokale Ortsbezeichnungen), für Gölsentaler und Kleinzeller ist sie jedoch wie für manche ortskundige Wanderer ein Begriff – die folgende Karte zeigt die Örtlichkeit mit den Zugängen von St. Veit an der Gölsen / Wobach (im Norden) und Außer-Hallbach sowie von Kleinzell / Ebenwald:
Am ersten Tag nach den Osterfeiertagen (4. April 2018) machten wir uns wieder auf, die Schneeglöckchenblüte auf der “Hahnwiese” zu besuchen, als kurze Vormittagswanderung gleich vom Parkplatz Ebenwald aus (Zugang 30 bis 40 Minuten). Das Wetter war prächtig für dieses Unternehmen, sonnig mit nicht zu scharfen Schatten, nicht mehr so kalt wie zu den Feiertagen und nur mäßiger Wind für gute Fotos.
Auf dem Asphaltweg ging es bis zum Hof Wiesbauer / vulgo Kaltenreiter und über die Wiese hinauf zum Kaltenreiter-Stiegl, einem markanten Zaunüberstieg, davor Prachtblick zum Hochstaff und zur Reisalpe. Jenseits bergab zur Senke am “Egger Sand” gab es bereits Schneefelder, und die idyllische “Froschlacke” war noch ganz zugefroren. Im folgenden Wald begann bald das Schneestapfen hinauf zum Leonhardbild, und erst jenseits am schattigen Weg lag der matschige Schnee noch mehr als halbmetertief. Aber dann – die Hahnwiese, schon aper und von Schneeglöckchen übersät!
Eigentlich hätten wir über den Sautaler aufsteigen wollen, aber nun blieb uns nur ein kurzer Weiterweg in dieser Richtung – nämlich zu dem uralten Heustadel, dessen Blockwände und sogar das Brettschindldach schon bald ein Jahrhundert dem Verfall trotzen, wohl auch durch den Schutz der riesigen Fichten und Rotbuchen (solange diese nicht selbst zu Fall kommen). Eine Besonderheit dieses Stadels – er ist ein zeitgeschichtliches Denkmal! Denn an dem beliebten Weg von Rainfeld zum Ebenwald (und wohl auch als geheimes “Liebesnest” gebräuchlich) haben sich immer wieder Besucher an den Balken der Türseite “verewigt”. Allerdings nur für begrenzte Zeit, denn meine bei einer Wanderung mit meinen Eltern am 1. Mai 1949 in Erstklassler-Blockschrift verfertigte Inschrift habe ich zwar bei einer Wanderung mit Anni in den 1970ern noch gefunden und zum Glück fotografiert. Aber in den letzten Jahren war die Eintragung (im Gegensatz) zu anderen wie verschwunden. Diesmal konnte ich eine noch gut erhaltene Inschrift mit meinem alten Diafoto vergleichen, und ich weiß jetzt ganz genau, an welcher Stelle wir suchen müssen, vielleicht kommen unter Moos und Flechten noch meine ungelenken Buchstaben zum Vorschein….
Alte Diabilder vor ca. 40 Jahren, damals war meine Inschrift erst halb so alt und daher noch lesbar! Hier noch ein paar Eintragungen aus den 1930ern und vom Kriegsende 1945, als hier die Frontlinie zwischen den vorrückenden Sowjetsoldaten und der sich unter Einsatz von Minen (der Ebenwald war vor allem rings im den Hochstaff längere Zeit vermint) zurückziehenden Wehrmacht (tatsächlich nur mehr SS-Verbände).
Zur Erläuterung: Manchen alten Rainfeldern werden die Namen von der Inschrift 1935 noch bekannt sein, am Tag als die St. Pöltnerin Ria Zöchling sich hier “verewigte” gab es folgende Ereignisse (zitiert aus meiner Heimatkunde “Lilienfeld und die Voralpen”, Jugend & Volk 1981): Am selben Tag überfuhren sowjetische Panzer die Reichsgrenze bei Kloster Marienberg, dem Lilienfeld angeschlossenen Zisterzienserinnenstift im Mittelburgenland. Damit wurde die Front, statt wie erwartet an den Leithaübergängen, von Südosten her aufgerissen. Am gleichen Tag kam der Volkssturm aus Lilienfeld, Richtung Ostwall in Marsch gesetzt, bei Güns / Köszeg an und wurde ohne Waffen erhalten zu haben wieder weggeschickt (sicher ein Glück für Hitlers “letztes Aufgebot”). Nach einer Panzerschlacht bei Wr. Neustadt folgte unter Zurücklassung des schweren Geräts der Rückzug aus dem Wiener Becken in die östlichen Alpenausgänge an der unteren Triesting und Piesting (sowie in das Wechselgebiet). Am 3. April gab das sowjetische Oberkommando den Befehl aus, die Linie Tulln – St. Pölten – Lilienfeld zu erreichen (ein weiteres Vorrücken nach Westen wäre zwar sicher möglich gewesen, ist aber anscheinend durch eine Absprache mit den Westalliierten unterblieben). Folgenschwer für das Gölsental, denn nun schwenkte der Frontverlauf in Südrichtung zu den Voralpen und erreichte am 23. / 24. April das Gölsental. Auf den Bergen und in den Talengen südlich davon blieb dann die Hauptkampflinie bis zum endgültigen Kriegsende stecken und die Kämpfe gingen noch weiter, bis ein massiver Schlechtwettereinbruch Anfang Mai von Natur aus dem Morden ein Ende setzte…
Nun zurück zu unseren glücklicheren Zeiten – “wo die Kinder bei Ruinen nur mehr an die Ritterzeit denken” (wie ich in meiner St. Veiter Heimatkunde in Erinnerung an die eigene Kindheit im fast völlig zerstörten Hainfeld geschrieben habe). Wie jedes Frühjahr (und wie auch 1945) blühen auf der “Hahnwiese” die bezaubernden Schneeglöckchen, und die Natur geht weiter wie das Leben, und so versinken unsere schweren Gedanken in der Vergangenheit …
Bald stapfen wir wieder im tiefen Schnee zurück zum “Egger Sand” und über das Kaltenreiter-Stiegl zum Ebenwald. Zurück ins Tal wird es immer frühlingsmäßiger, und so müssen wir uns wohl beeilen, zur “Märzenbecherwiese” im Wiesenwienerwald noch den letzten Zeitpunkt zu erwischen! Dazu aber noch ein letztes Bild von der “Hahnwiese” bis zum nächsten Jahr…
Warum die Schneeglöckchenblüte dort eine solche Besonderheit ist? Eigentlich sind in den Voralpen die Märzenbecher / Frühlingsknotenblumen verbreitet, aber rund um St. Veit an der Gölsen besteht eine botanisch verkehrte Welt – Märzenbecher im Wienerwald und Schneeglöckchen auf den Kalkbergen der Voralpen!