Der Gurker Dom – Ziel der “Hemmawege”
5. Oktober 2011 von Bernhard Baumgartner
Aus allen Richtungen und von weit her ziehen Pilger nach Gurk, wo die Schutzpatronin Kärntens, die hl. Hemma, verehrt wird. Diesen „Hemmawegen“ nachzufolgen – zu Fuß als Wallfahrer oder bei einem Kunstausflug – vermittelt mehr als nur ein Erlebnis der geschichtsträchtigen Landschaft im südlichsten Bundesland Österreichs.
Der Gegensatz könnte nicht größer sein – ein behäbiges, von Wäldern umgrenztes Tal in den Gurktaler Alpen und in dessen Mitte ein Bauwerk, das einer Weltstadt würdig wäre, der Dom von Gurk. Zwar wurde dieses von der Romanik an alle Epochen vereinende Gotteshaus erst 1855 für die „Kunstwelt“ entdeckt. Jedoch reicht die im Volksglauben tief verwurzelte Kultstätte bis in die keltisch-römische Vergangenheit zurück.
Hemma-Kloster und Bischofssitz
Das von Forst- und Holzwirtschaft geprägte Gurktal mit seinen idyllischen Bergbauernfluren erlangte bereits im frühen Mittelalter durch vielfältigen Bergbau eine ungleich größere Bedeutung als heute. Von ihren Vorfahren und ihrem Gatten Graf Wilhelm von Friesach her, verfügte Hemma von Gurk in dieser durchaus nicht ärmlichen Gegend über große Besitzungen, die bis in die Obersteiermark und nach Slowenien reichten. Zur Witwe geworden, galt sie als eine der reichsten Frauen des Landes, widmete sich aber nur mehr christlichen und sozialen Vorhaben. So begründete sie in Gurk 1043 ein Nonnenkloster, das allerdings keinen langen Bestand hatte. Denn 1072 war von der Erzdiözese Salzburg aus das Bistum Gurk begründet worden, das nun über Hemmas Erbe verfügte.
Obwohl der Bischofssitz bald zur nahen Straßburg verlegt wurde, entstand schon unter den ersten Gurker Bischöfen der im Lauf des 13. Jahrhunderts fertiggestellte Dom. Hemma als dessen Gründerin – das war ein gewichtiges Argument im Kampf des jungen Bistums um weitere Unabhängigkeit von Salzburg. Seit 1174 befindet sich das Grabmal Hemmas in der Krypta des Domes, was nach damaligem Brauch einer Seligsprechung gleichkam. Bereits seit Jahrhunderten wie eine Heilige verehrt, erfolgte die Heiligsprechung Hemmas erst 1938. Papst Johannes Paul II. besuchte 50 Jahre später ihre Grabstätte, und 70 000 Gläubige nahmen damals an der Messe der „Dreiländerwallfahrt“ teil. Ein Zeichen dafür, dass sich die Verehrung der hl. Hemma weit über die Grenzen Kärntens hinaus erstreckt.
Gurk als traditionelles Wallfahrtsziel
Seit 1788 ist Klagenfurt Mittelpunkt der unter Kaiser Joseph II. vergrößerten Kärntner Diözese. Trotzdem blieb die Anziehungskraft von Gurk weiterhin bestehen, für Kunstfreunde ebenso wie für Pilger, die hier am 27. Juni das Hochfest der Heiligen begehen. Ziel der bereits 1327 nachweisbaren Hemma-Wallfahrt ist allerdings nicht der Gurker Dom selbst, sondern die Pilger steigen in das Dämmerlicht der von 100 Marmorsäulen gestützten Hallenkrypta hinab. Hier erflehen sie am Grabmal der volkstümlichen Landesmutter vor allem Hilfe bei Krankheiten, bitten um Kindersegen und eine leichte Geburt. Einstmals krochen die Frauen dazu durch den Spalt unter dem Steinsarg, der von urtümlichen „Trageköpfen“ in die Höhe gehaltenen wird. Ein deutlicher Hinweis auf einen archaischen Fruchtbarkeitskult, dem die Wallfahrt auch ihren historischen Aufschwung verdankt. Denn als die Bewohner Krains, dem Heimatland von Hemmas Gemahl Wilhelm, die ihr schuldige Verehrung verweigerten, gab es dort nur mehr Missernten. Erst die seit 1609 abgehaltenen „Krainer Wallfahrten“ sorgten wieder für reichliche Ernten. In der Krypta befindet sich auch der früher vor dem Dom aufgestellte „Hemma-Stein“. Auf diesem sitzend überwachte die Heilige den Bau des Domes, wie eine der vielen Hemma-Legenden erzählt. Die Wallfahrer setzten sich auf diesen wohl in keltische Vergangenheit zurück weisenden Kultstein, weil die dabei gedachten Wünsche in Erfüllung gehen sollten.
„Hemmawege“ als spirituelle Weitwanderungen
Das Pilgern zu heiligen Orten ist wie in der Tradition vieler Religionen auch im Christentum tief verankert. Nach der Stagnation um die Mitte des 20. Jahrhunderts erlebte das „Wallfahrten“ – wie der volkstümliche Ausdruck heißt – in den letzten Jahrzehnten einen plötzlich einsetzenden und sich immer mehr verstärkenden Aufschwung. Jakobswege und Mariazellerwege werden förmlich „überlaufen“ und sind in das offizielle Netz der Weitwanderrouten eingebunden. Die Pilgerwege zum Grab des Apostels Jakobus im spanischen Santiago de Compostela erklärte der Europarat 1987 sogar zu „europäischen Kulturrouten“. Interreg-Projekte der Europäischen Union ließen aber auch in Österreich Pilgerwege entstehen, wobei alte Traditionen wiederbelebt oder sogar neue Routen geschaffen wurden. So entstanden etwa in Niederösterreich der „Jakobsweg Weinviertel“, in der Steiermark die Wege „Auf den Spuren der Wallfahrer“ und seit 2004 in Kärnten die Hemma-Pilgerwege.
Textnachweis: Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung meines Artikels “Unterwegs im Hemmaland”, erschienen im Granatapfel-Jahrbuch 2012.