Adamello – ein südlicher Dreitausender
4. Januar 2019 von Bernhard Baumgartner
Fünf Jahre nach der Berninatour: 1969 wiederholen wir unsere Hochzeitsreise zum Stubacher Weißsee vom Jahr davor, dann geht es weiter gegen Süden – mit VW-Käfer (sagenhafter Ölverbrauch mit 3 Liter auf 1000 km !) und Campingausrüstung. Warum wir gerade auf den Monte Adamello gekommen sind, weiß ich heute nicht mehr. Vielleicht hat uns eher der Gardasee verlockt, allerdings haben wir uns dort eine üble Magenverstimmung eingehandelt, trotzdem geht es nach drei Tagen weiter ins Gebirge, wie mein Tourenbuch XVI von 1969/70 berichtet:
5. bis 8. August 1969 – auf den Monte Adamello
Vom Gardasee geht es zunächst hinein ins südliche Kalkgebirge, aus dem hitzeerfüllten Tal durch die Sarcaschlucht nach Tione die Trento. Pinzolo macht schon einen alpinen Eindruck, und hier zweigt das Val Genova ab – “eingesenkt ins Herz des Granitgebirges bietet es urhafte Wildheit im Schäumen der Gletscherwasser und dem undurchdringlichen Mantel der Bergurwälder, plattiger Fels steigt unvermittelt zu den höchsten Kämmen empor, weiß schimmern die Sprühregen der Wasserfälle”. Märchenhafte Almflecken bilden einen scharfen Kontrast zu den im Talschluss herabschimmernden zerklüfteten Eiszungen. Stop ist in Bedole, und in der Kühle der hereinbrechenden Abends steigen wir vier Stunden zum Madronhaus auf, während über den Adamellogletschern sich ein Gewitter austobt.
Mittwoch, 6. August – Madrongletscher und Lobbia
Schon um 5 Uhr früh verlassen wir das Madronhaus / Rifugion “Citta di Trento”. Eigentlich wollten wir schon von hier zum Gipfel, aber wir sind krank und müde, daher geänderter Plan. Gegenüber dem Anstieg vom Vortag sind es weniger Höhenmeter bis zur nächsten Hütte, und sich in dieser grandiosen Landschaft Zeit zu lassen, zahlt sich aus – kleine Seen und Moorflächen schmiegen sich zwischen die Moränen und Felstrümmer aus dem hellen, überaus harten Tonalitgestein. Wie ein graues Ungetüm, später als im Sonnenlicht blinkender Schild, liegt der Madrongletscher in seinem breiten Bett, dahinter die lockenden Gipfelspitzen mit ihren melodischen italienischen Namen. Wir haben die Steigeisen (etwas unvorsichtig) wegen des geringeren Gewichts der Rucksäcke unten gelassen, aber dafür den Gaskocher mitgenommen. Daher nehmen wir uns vor, nur bis zur Lobbia-Schutzhütte zu gehen und schalten einmal gleich eine ausgiebige Kochrast ein. Trotzdem sind wir schon um mittags beim Rifugio “Ai Gaduti dell´Adamello” am Lobbiapass, bereits auf 3050 m. Weil das Wetter so gut ausschaut und wir uns ein bisschen erfangen haben, steigen wir am Nachmittag noch auf den Hüttendreitausender Lobbia alta – ein toller Aussichtsberg mit klüftigem Blockaufbau und Mengen von Gletscher-Hahnenfuß. Die weitere Route zum Adamello liegt hier klar vor uns, allerdings ein ausgedehnter Gletscherhatscher… Abends mischen sich Schauer und Nebel mit dem schwindenden Licht, die Nacht bringt aber wieder Kälte und klaren Himmel, also gute Voraussetzungen für den Gipfelmarsch.
Donnerstag, 7. August – Adamellogipfel
Auf 3000 m Höhe darf man sich in den Schutzhütten abseits der Seilbahngebiete nicht viel Komfort erwarten, dafür ist die Versorgung mit Essen und Getränken überraschend gut. Wir erinnern uns allerdings mit Vergnügen an eine Familie aus Bayern, wo der (übrigens vorzügliche) Rotwein als günstigster Durstlöscher die Ohren der beiden Bayernmädchen schon zum Glühen gebracht hatte… Uns stört eher, dass wir auch aus sprachlichen Gründen die angebotenen Speisen mit unseren Bauchbeschwerden nicht in Einklang bringen können. Immerhin “Omelett” bedeutete hier Palatschinken, nicht ganz selbstverständlich, wie am anderen Tag auf Madron zu bemerken. Pasta hingegen war eindeutig, auch für unsere angeschlagene Verdauung…
Geschlafen haben wir wegen des recht unsauberen Lagers eher schlecht, daher sind wir um 5 Uhr früh schon wieder aufbruchbereit – zu unserer Überraschung noch lange nicht als Erste! Die später aufbrechenden Tourengeher sind eindeutig im Vorteil, denn sie lassen sich auf Schiern per Ratrack die Gletscherböden hinaufziehen und können dann mühelos herunterschwingen, während wir voraussichtlich im Schneematsch waten werden…. Vorläufig geht es aber bestens auf dem gefrorenen Firn in die weiten Gletscherböden des Pian di Neve hinein. Ringsherum reihen sich leichte Dreitausender, besonders schön das Corno bianco (wirklich ein “Weißhorn”), aber wegen der weiten Strecke zum Hauptgipfel gibt es keine Nebenziele! Wie lange wir bis zum Gipfel gebraucht haben, ist leider nicht notiert. Wir lassen unterhalb des Felsaufbaus die Rucksäcke stehen und erklimmen so trotz der gesundheitlichen Erschöpfung doch rechts gut die Spitze des Adamello mit dem etwas kuriosen Gipfelkreuz. Dort ist es so herrlich mit all den grandiosen Ausblicken bis zur scharfen und eher felsdunklen Presanella, dass wir bis als letzte Besteiger auf dem Gipfel bleiben. In größter Mittagshitze geht es dann hinab zum Rucksackdepot, und zum Glück kühlen die hier im Süden üblichen Mittagswolken die endlosen Schneefelder etwas ab. Nun gehen wir nicht mehr zum Lobbiapass mit der obersten Schutzhütte (darum haben wir auch das volle Gepäck dabei), sondern streben gleich dem Moränenausstieg Richtung Madron zu. Es ist nun früher Nachmittag, und wir können die restlichen Stunden verbummeln, die Umgebung und die Alpenflora scheinen zu wetteifern, wie sie uns glücklich machen können. Als Obergenuss bekommen wir im Madronhaus sogar Betten in einem Zimmer, aber – unsere Bestellung von “Omelett con Marmelade” bringt uns eine süß gefüllte Eierspeis auf den Tisch. Da revoltiert jeder Magen, und unser schon angeschlagener erst recht…
Freitag, 8. August – von der hochalpinen Eiswelt zum Sandstrand der Adria
Nach Abstieg zum Parkplatz beim Rifugio bzw. Malga in Bedole ist die Fahrt aus dem Gebirge hinaus zum Gardasee ein letzter Genuss. Dann folgt die Verkehrshölle der Autobahn, besonders bei Mestre an Venedig vorbei, bis wir auf einem Campingplatz beim damals gerade neu entstehenden Ferienort Porto san Margharita unser Zelt aufschlagen. Alles bestens, nur Gelsenplage, eine hat Anni sogar ins Gesicht gestochen, dass ihr eine Beule auflief! Über Caorle mit Marktbesuch geht es weiter nach Grado, wo Annis Eltern gerade den Urlaub verbringen. Ihr Hausmittel stoppt nun unsere allzu lockere Verdauung, aber das muss man erst einmal probieren – einen Löffel abgeriebener Muskatnuss ohne trinken zu verschlucken!
Eigentlich hat unsere Adamellobesteigung schon mit einem Vollbad im klaren Bergbächlein bei Bedole geendet, jetzt genießen wir die milden Wellen der Adria, und endlos weit im Sand hinauszuwaten, bis wir endlich schwimmen können – einen solchen Genuss kann man erst schätzen, wenn man kurz zuvor noch auf über 3000 m durch den Schneematsch der Gletscher gestapft ist. Übrigens hatte unsere Erkrankung noch ein Nachspiel: Als wir noch im August mit den Hainfelder Naturfreunden von der Kürsinger Hütte aus den Großvenediger besteigen wollten, durch Schlechtwetter etwas verzögert, zwang uns ein erneutes Bauchweh zum Abbruch der Tour – also hat sich der Gardaseeaufenthalt noch nachträglich bemerkbar gemacht, obwohl wir nicht wissen – war es das Eis in Sirmione oder die Paradeisfische aus unserem Reiseproviant (damals sehr in Mode)?