Istrisches Tagebuch VII – das “grüne Herz” Istriens
10. Juni 2018 von Bernhard Baumgartner
Nach geologischen Gesichtspunkten wird Istrien nach drei Farben geteilt: Die auf Kalk lagernden Terra rossa-Böden im Westen werden als “Rotes Istrien” bezeichnet, die Gebirge von Nordosten bis Südosten heißen nach dem hellen Kalkgestein “Weißes Istrien”. Im Zentrum Istriens treten jedoch Sandsteine und Mergel auf und führen zur Bezeichnung “Graues Istrien” – tatsächlich ist dieses Gebiet mit seinen üppig bewachsenen Fluren aus meiner Sicht das “Grüne Herz Istriens”.
Nachdem wir in diesem Urlaub schon die Küsten und das Gebirge besucht und bewandert hatten, wollten wir (schon nahe am Abschluss) uns dem Landesinneren zuwenden, das wir bei früheren Reisen schon ausführlich kennengelernt hatten. Daher nicht etwa nach Buzet, Motovun oder Hum (der angeblich kleinsten Stadt der Welt), aber unbedingt nach DRAGUC, einem kleinen Bergdorf mit vielen uns kostbaren Erinnerungen – bunte Farbenpracht im Herbst, reiche Orchideenblüte im Frühsommer… dorthin wollten wir “noch einmal”!
Wieder morgens Auffahrt von Rabac nach Labin und in den nördlichen Vorort Kature (ehemaliger Bergwerksort und Museum des Kohleabbaues). Von dort führen zwei Hauptstraßen nach Norden ins Landesinnere. Wir wählen aber jenes Eck, das wir bisher nicht kennengelernt haben – gegen Westen Richtung Rasa Draga, aber noch über die Hochfläche dahin. Die Nebenstraße ist (wie zumeist) gut ausgebaut, und wir sind erstaunt, wie wenige ruinöse Siedlungen es hier gibt, vielmehr gepflegte und neue Häuser samt wohl bestellten Fluren. Bei der Kreuzung vor dem links abseits liegenden Dorf Marici wenden wir uns nach Norden, um nicht gleich an den Plateaurand heran zu kommen. Nun überwiegen eher Heideböden und kleine Waldungen, die uns zu einem kurzen Stop verführen. Mit großem Glück werden wir fündig – zwischen Gehölzen mit aufblühenden Perückensträuchern u. a. finden eine kleine verzweigte “Orchideenwiese”, wo die Spinnen-Ragwurz in vollster Blüte steht. Dann geht es wieder abwechslungsreich weiter, den Ort Sveti Martin lassen wir unberücksichtigt, denn unser Tagesziel ist noch weit entfernt, und nächste Station soll die bemerkenswerte Ansiedlung SUMBER sein.
Wie in unserem Kunsthistorischen Reiseführer ISTRIEN beschrieben, besteht Sumber (Schumber) aus einzelnen verstreuten Häusern, wird jedoch von der trotz Verfall noch immer stattlichen Mauer der mittelalterlichen Burg beherrscht. Bezaubernd ist die Lage über der Rasa Draga, in die man hier hinabblickt. Angenehm für uns war auch, dass der Ortswächter – ein uralter grimmig aussehender Wolfshund – es wirklich freundlich mit uns meinte, gerade dass wir ihn nicht streichelten… Hier wirkt alles sehr unterschiedlich, manches Haus bewohnt und daher auch revoviert (Wasserzuleitung von den Dächern in Zisternen, denn Quellen gibt es auf dieser Anhöhe kaum), sonst viel Verfall. Sogar die Pfarrkirche der Heiligen Johannes und Paulus wirkt nicht gerade gepflegt und viel benützt. Es soll auch noch beim Friedhof die alte Kirche St. Quirin geben, aber wir fanden nicht einmal den sonst unübersehbaren Friedhof! Und schon gar nicht einen ganz kuriosen Skaralbau – die 1440 erbaute Kirche “Madonna der Kornelle”. Einer Legende nach soll die Gottesmutter “auf einer Kornelle” sitzend einer Hirtin erschienen sein und um den Bau einer Kirche gebeten haben. Also bei uns ist uns noch nie eine Marienerscheinung in einem Dirndlstrauch untergekommen! Leider konnten wir dieses Heiligtum nicht finden und mussten erfolglos weiterfahren.
Von Sumber aus hatten wir schon in der Ferne auf einer Berghöhe unser nächstes Ziel ausgemacht – die Burgstadt Pican, die zu einer Kette solcher historischer Orte zwischen Krisan und Pazin gehört. Äußerst bemerkenswerte Geschichte – prähistorisches Kastell, dann römische Festung, von 524 bis 1788 Beschofssitz, die kleinste Diözese der Welt! Ein in der Sakristei aufbewahrter goldbestickter Bischofsmantel war ein Geschenk der sog. Kaiserin Maria Theresia! Die römischen Ruinen wurden in der mittelalterlichen Stadt verbaut, heute hat man den Eindruck vielfältigen Verfalls. Wir parken auf dem Platz vor der Stadt und gehen durch das “Römische Tor” ins Innere der ummauerten Siedlung hinauf. Wirklich eindrucksvoll ist der Ausblick von den Bastionen – gegen die wie überall beherrschende Ucka, und sogar die Türme von Labin sind fern im Süden erkennbar, sicher gehörte Pican als wichtige Signalstation zum Verteidigungssystem Istriens.
Beherrschend ist der Glockenturm, an dessen Fuß sich eine “Zehentstein” befindet – zum Bemessen der Abgaben an die Kirche! Die barocke Kathedrale Mariae Himmelfahrt zeichnet sich durch eine auffallend lange Bauzeit von 1606 bis 1771 aus. Gerade läuten die Kirchenglocken, und die Menschen strömen zur Messe um 11 Uhr zusammen. Wir schließen uns ihnen an und besuchen die Sonntagsmesse, verstanden haben wir zwar kein Wort, aber der Gesang von Chor und Singgruppe war wirklich eindrucks- und stimmungsvoll. Übrigens endete die kroatische Messe mit dem Zwölfuhrläuten! Danach versammelten sich die Einheimischen unten beim Parkplatz bei einer kleinen Ausschank, für die sie wohl selbst gesorgt haben, denn eine Einkehrmöglichkeit haben wir nicht gesehen. Wir spazierten gegenüber der “Hochstadt” noch zum Friedhof auf der östlich benachbarten Anhöhe, wo sich auf einem tollen Panoramaplatz die romanische Kirche St. Michael erhebt. Sie war selbstverständlich verschlossen, also konnten wir die Fresken aus dem 15. Jahrhundert nicht besichtigen, aber den wertvollsten Freskenschatz der Gegend haben wir ohnehin schon einmal in Beram bei Pazin gesehen.
Nun heißt es, schon zügig unser eigentliches Tagesziel anzusteuern! Dabei ladet die wechselvolle Höhenlandschaft förmlich ein, dort herumzustreifen, aber es bleibt uns nur der Genuss im Vorbeifahren. Hinunter ins Tal nach Pazin, der Hauptstadt des zentralen Istrien, eine Abkürzung durch die Vororte und dann talaufwärts, gleich auf der Hauptstraße statt auf der daneben verlaufenden Schnellstraße. Die Abzweigung erfolgt bei Cerovlje Richtung Draguc (dort ginge es weiter nach Buzet. Wir wählen aber eine schmale Seitenstraße, die wir anscheinend schon einmal befahren haben – über Lovrecic hinauf in die Wälder, bald ohne Asphalt und auf einer Art zur allgemeinen Benützung freigegebenen Forststraße. Diese Wahl hat sich gelohnt, nicht nur weil wir bei einem geschlossenen Rasthaus einen schönen Platz für die schon dringend erforderliche Erfrischung fanden. Noch dazu wimmelten die Waldränder nur so von Orchideen, immer wieder eine neue Art, ich zähle einfach auf: Purpur- und Stattliches Knabenkraut, Orchis morio, Fliegen-Ragwurz, Orchis tridendata, Breitblättriges Waldvöglein, Violetter Dingel (der Einfachheit halber verwende ich gleich die vertrauten Trivialnamen, denn sonst müsste ich erst der Genauigkeit halber in der Exkursionsflora nachschlagen).
Für eine Sandstraße ist die Fahrbahn recht gut, nur muss man immer wieder auf Löcher und Rillen achten. Im Höhengelände geht es ziemlich eben dahin, und bald öffnen sich nach einigen Haltepunkten weitere Lichtungen – hier hat sich ziemlich was verändert, denn rund um einen prächtigen Landsitz dehnen sich frisch gepflanzte Olivengärten. Dann kommt bei der Bergabfahrt das Dorf Draguc in Sicht, auch hier etwas Neues, denn eine einst ruderal wirkende Wiese mit vielen Orchideen (Riemenzungen) wurde in einen Obstgarten verwandelt. In das Dorf hinein wirkt aber alles noch so, wie wir es vor einigen Jahren erlebt haben.
Am Kirchenplatz mit seinen uralten Bäumen und den Aussichtsplätzen an der steinernen Brüstung lassen wir uns zur verdienten Rast im Café Zora nieder, einem urigen Lokal neben dem hohen Glockenturm (daneben sogar eine alte Glocke). Katzen gibt es in Menge wie seit eh und jeh, aber die hergerichteten Häuser sind mehr geworden, kommt uns zumindest vor. Sogar der kunsthistorische Reiseführer widmet Draguc zwei Seiten: Ein antiker Ort, in dem die Vergangenheit lebendig ist, ein architektonisch-landschaftliches Kleinod! Der von teilweise erhaltenen Festungsmauern umgebene Ort gehört bis 1523 zu Österreich, dann bis 1797 zu Venedig, in manchen Bauten ist die Geschichte noch erkennbar. Draguc verfügt außerdem über vier Kirchen – von der Hauptstraße in den Ort hinein steht die Friedhofskirche St. Elisäus (12. Jahrhundert, Steinblock des Altares mit römischer Inschrift, Fresken 14. Jh.), gleich danach die Marienkirche von 1641. Dann verlaufen zwei parallele mit Steinen gepflasterte Längsstraßen zum Hauptplatz mit Brunnen und Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz (in der Apsis ein Befestigungsturm einbezogen). Unter dem ehemaligen Getreidespeicher dient ein langer Durchgang (Portikus) als Abstellplatz für Ackerwägen u. a. Geräte). Aber danach folgt am Rand des Bergrückens der kleine, aber besondere Höhepunkt – die Kirche St. Rochus mit Loggia von 1565 und wenig früher entstandenen Fresken am Gewölbe. Die Aussicht über die Berghügel mit ihren Obst- und Weingärten ist phänomenal, im Nordwesen erkennt man die Seefläche eines großen Trinkwasserspeichers.
Die Bilder stammen großteils auch von Anni (in kann die Beschriftung leider nicht anbringen, was im alten PC noch leicht gelungen ist, die Bilder sind auch kleiner als früher), die Menge an interessanten Aufnahmen werde ich im Facebook unterbringen, wo sie attraktiver erscheinen als hier. Nun wird es Zeit für die Rückfahrt, wir sind allmählich auch zu müde für neue Eindrücke… Zurück ins Tal bei Cerovlje geht es nun auf der Haupt-Neben-Straße, jedenfalls gut ausgebaut mit vielen Kurven, dann müssen wir über die nächsten Berge hinüber ins obere Rasagebiet. Dazu bietet sich die Passstraße nach Paz an, und an der Ruine von Belaj vorbei landen wir unweit von Boljun wieder im Tal und folgen der Hauptstrecke nach Labin und wieder hinunter zum Meer in Rabac. Ein langer und voll ausgefüllter interessanter Tag war dieser Sonntag, 6. Mai!