Matsch – erstes Alpenvereins-Bergsteigerdorf in Südtirol
9. November 2017 von Bernhard Baumgartner
Die BERGSTEIGERDÖRFER des Alpenvereins sind ja seit einigen Jahren ein Auszeichnung, die geeigneten und nicht von sich aus überregional prominenten Orten verliehen wird. Verbunden damit sind Werbung, diverse Unterstützungen und Öffentlichkeitsarbeit. Über Lunz am See hat sogar mein alter Freund und Bergkamerad bzw. zeitweiser Autorenpartner Werner Tippelt ein eigenes Buch verfasst.
Bei unserem Südtirolurlaub wollten wir wieder das Bergdorf Matsch besuchen. Wir waren dort vor 15 Jahren schon den Waalen im Matscher Tal nachgegangen. Jetzt hat sich herausgestellt, dass gerade heuer Matsch zum ersten AV-Bergsteigerdorf Südtirols ernannt worden ist. Also hat sich die Fahrt dorthin besonders gelohnt, obwohl man von Lana auf der relativ stark befahrenen Straße Richtung Reschenpass bzw. Stilfserjoch eine gute Stunde braucht. Außerdem war das Wetter an diesem Österr. Nationalfeiertag einfach herrlich!
Vor Mals, schon in Sichtweite des interessanten Tartscher Bühels, zweigt rechts die gut ausgebaute Bergstraße hinauf ins Matscher Tal ab. Beim Talkreuz, oberhalb von Ruinen der alten Raubritterburgen in der Bachschlucht, zeigt sich der Ortler mit seiner Nordwand in grandioser Ansicht.
An der auf einem Hangvorsprung einzeln stehenden Kirche geht es leicht bergab in das dicht gedrängte Dorf hinein. Die Häuser sind am Steilhang fast übereinander gebaut, Altes und gut Erhaltenes steht neben Neubauten, in nicht ganz gutem Zustand gibt es nur wenige Gebäude. Wie selbst in den entlegensten Dorfsiedlungen (etwa Proveis im Deutschnonsberg, über das ich noch berichten werde) befindet sich auch hier eine Grundschule samt Bibliothek, Gasthäuser und Pensionen sind eher spärlich.
Erst weiter taleinwärts gibt es den Gasthof Glieshöfe, als Bergsteigerdorf verfügt der Ort über über etliche Tourenmarkierungen, die auf die steilen beiderseitigen Berghänge klimmen (Höhenunterschied etwa 1000 m). Im Talschluss ragt über dem Matscherferner die Weißkugel auf, wird meiner Vermutung aber von hier aus wohl seltener bestiegen, da der Gipfelweg vom Schnalstaler Hochjoch aus (Bellavista / Schöne Aussicht Hütte) oder von der Weißkugelhütte im Langtauferer Tal bevorzugt wird. Meine alte Karte vermerkt zwar eine Schutzhütte unter der Höllerhütte, aber dazu ist mir nichts Näheres aufgefallen. Bequeme Wege gibt es nur im Talgrund, für die Herbstzeit an der Schattseite nicht angenehm, und die Wanderung von den Glieshöfen taleinwärts müssen wir uns erst anschauen. Aber wir wollen ohnehin den Waalweg aufsuchen, den wir 2002 als “Wiesenwaal” kennengelernt haben.
Am Ortsende, bald nach dem schmalen Durchschlupf zwischen der oberen Dorfstraße und der Richtung der Florianikirche abzweigenden Gasse, gibt es eine Busstation und danach einen Parkplatz. Hier rauscht ein Bach den Hang herab, der nur vom Waal kommen kann, und diesen entlang steigen wir steil bis zum querenden Fahrweg auf. Aus unserer Erinnerung heraus, muss hier der untere Waal verlaufen sein, und so klimmen wir noch eine Etage höher hinauf – bei unserer Tour vor 15 Jahren haben wir übrigens hier im August Riesenboviste gefunden, die uns und unsere Nauderser Quartiergeber reichlich mit “Pilzschnitzel” versorgt haben!
Nun stehen wir tatsächlich am Gerinne des Oberen Wiesenwaals, der Waalweg ist daneben relativ breit ausgebaut, und es gibt einen über dem Wasser aufgestellten klobigen Rastplatz auf dem nunmehrigen “Ackerwaal”.
Das Wandern auf dem Waalweg ist – wie meist auf solchen Routen – überaus angenehm, fast eben (die Neigung merkt man nur an dem daneben fließenden Wasser) und mit Blick hinein ins herbstlich gestimmte Tal, im Rücken die Gletscher und Felsspitzen der Ortlergruppe.
So wandern wir gemütlich dahin, einmal an einer Rutschungsstelle oberhalb vorbei, bis wir uns der Talstraße nähern, wo die beiden Waale ihren gemeinsamen Ausgangspunkt durch die Ableitung von Matscherbach haben dürften. So genau ist das wegen der Verrohrung des unteren Waals nicht feststellbar, jedenfalls nehmen wir unseren Wendepunkt bei den nächsten steil am Hang gebauten Gehöften.
An dieser “Ausleitung” (den Fachbegriff dafür gibt es sicher, aber dazu müsste ich in Hans Paul Menara´s Buch über die Waalwege nachschlagen, nächstesmal wieder Pflichtlektüre!) fließt der obere offene Waal scheinbar bergauf, während links hinunter das Wasser zum unteren verrohrten Waal hinabschießt. Wasser gibt es selbst jetzt im trockenen Herbst ja genug, es kommt von den Gletscherbächen, während die Berghänge der Sonnseite verdorrt erscheinen, zumindest oberhalb des Waallaufes. Übrigens werden alle meist unterhalb davon gelegenen Wiesen, egal wie steil, ebenso wie die paar Äcker üppig mit Mist versorgt!
Beim Rastplatz über dem Wasser halten wir endlich die Mittagsjausenpause, die warme Sonne im Gesicht und den Ortler vor Augen, unvergesslich! Danach kommen uns zwei junge Frauen entgegen, die ich gleich mit meinen Fragen überfalle, etwa über den verrohrten unteren Waal, wie es im Ort so geht, was halt interessant ist – über unsere Waaltour vor 15 Jahren scheinen sie zu staunen, wahrscheinlich waren sie damals noch im Kindergarten… Einen solchen gibt es auch in den Bergdörfern, wie wir uns überhaupt mehrfach über die relativ gute Infrastruktur wundern, die Autonomieregion Bozen kümmert sich offensichtlich sehr darum, und vielfach sieht man selbstverständlich die ausgewiesenen EU-Projekte.
Aussicht von unserem Rastplatz und Begegnung in der Viehweide, wo der Waal dann zuletzt im Erdboden verschwindet und erst neben dem Parkplatz wieder frei herabrauscht. Dazwischen gehen wir einen alten Weg mit Steinmauern und urigen Zäunen entlang ins Dorf hinab. Bei den dicht gedrängten Häusern vorbei, kommen wir in eine “Zwischenwelt” aus alter und neuerer Zeit, in einer ans Haus gebauten Kapelle steht anscheinend der Wegpatron H. Wenzel, und mehrfach gibt es alte Wegkreuze mit bemerkenswert geschnitztem Christus. Gut vorstellbar, dass man in diesem Gebirge früher und wohl auch noch heute sehr auf die “gütigen Mächte” vertrauen muss. Trotz aller Technik und Erschließung lebt es sich sicher nicht leicht hier heroben… Wenn ich die Steilhänge hinauf zu den schützenden, jetzt golden leuchtenden Lärchenwäldern und den rötlich gefärbten Zwergstrauchheiden unter den felsigen Gipfeln anschaue, möchte ich mir nicht vorstellen, was hier in schneereichen Wintern los sein könnte…
So klingt unsere Waalwanderung in der “dörflichen Idylle” aus, aber nur für uns, den die Bewohner von Matsch haben hier statt Idylle sicher nur ein schweres, aber noch immer lohnendes Leben, in das sie tief verwurzelt sein müssen. Zumindest lässt sich das im Bergsteigerdorf Matsch ahnen… und wünschen!