Aus meinem Tourenbuch – Hohe Tauern 1962
13. November 2017 von Bernhard Baumgartner
Bevor die ein halbes Jahrhundert alten Dias gänzlich unbrauchbar werden (ohnehin nur mehr für die Erinnerung taugend…), habe ich begonnen, meine Hochtouren von “Seinerzeit” einzuscannen. Diesmal geht es beim ersten Beitrag “Aus meinem Tourenbuch” um die Durchquerung der Hohen Tauern vom Rauriser Sonnblick bis zum Großvenediger in der Zeit von 11. bis 22. Juli 1962 mit meinem Studien- und Lehrerkollegen, Berg- und Kletterpartner (ich als Seilzweiter), sogar “Autorenzwilling” für etliche Bücher – WERNER TIPPELT.
Teil I Durch die Glockner-Gruppe
Da sind wir schon (links Werner) beim Amertaler Hof in Kolm-Saigurn, vor dem Aufstieg zum Zittelhaus auf dem Sonnblick. Der Wind weht frisch, und zeitweise regnet es leicht, ich habe aber den Regenschirm dabei (neben Seil, Steigeisen, Pickel, Schlafsack, und damals selbstverständlich viel Proviant).
Bei der Rojacherhütte lernen wir die legendäre Wirtin kennen (Sonnblickmirz oder so ähnlich wurde sie genannt), für uns wie eine resche und zugleich fürsorgliche Großmutter. Dann stapfen wir durch tiefen Schnee hinauf zum Zittelhaus. Die Nacht wird stürmisch, der nächste Tag dicht verwolkt und vernebelt. Trotzdem begehen wir den Grat über den Goldzechkopf und besteigen ohne jeden Ausblick den Hocharn, jetzt schon unser dritter Dreitausender. Erst beim Zirbensee kommen wir wieder “ans Licht”, hinaus beim Alten Pocher vorbei durch das Fleißtal. Genächtigt wird in einem Bauernhaus mit hübschen Töchtern, die sich aber für solche Bergvagabunden wie wir wohl bedankt hätten… Andertags Auffahrt mit Bus zur Franz-Josephs-Höhe und Nächtigung in der vor einigen Jahren abgetragenen Hofmannshütte.
Am nächsten Tag gibt es eine Überraschung, mein Vater besucht mit dem Oppeneiger Hans aus Altenmarkt im Pongau (wo er auf Familienurlaub ist) uns gerade vor dem Aufbruch zum Gr0ßglockner. Er hat wohl geahnt, was wir vorhaben… und wenn ich an unsere nächste Tour denke, vor allem unsere damalige Ausrüstung, wundert mich seine Sorge nicht im geringsten, ich wollte nicht in seiner damaligen “Haut” stecken!
Am Nachmittag steigen wir über die Pasterze hinweg und durch den Eisbruch ins Innere Glocknerkar auf, um in der Biwakschachtel zu nächtigen. Das Wetter ist herrlich, und wir haben einerseits “Auftrieb” und anderseits “Schiss”, wollen wir doch die berühmte Pallavicinirinne durchsteigen.
Unsere Ausrüstung – oder was uns alles gefehlt hat: Steinschlaghelm, Eisbeil, Werner sogar die Zwölfzackersteigeisen, Eisschrauben. Was wir haben: normallangen Eispickel, 8 mm Kernmantelseil, zwei Eishaken zum Einschlagen mit dem Kletterhammer. Angeseilt nicht mit Klettergurt, sondern mit Seilschlinge (oder Reepschnurgurt).
Zunächst haben wir noch Glück (eigentlich hatten wir bis zum Gipfel unverschämtes Riesenglück…), denn in der gefürchteten Randkluft steckt ein dicker Schneewutzel. Oberhalb ziehen dann Firnrippen über die wie ein höchst steilgestelltes Fußballfeld wirkende und sehr breite Rinne hinauf. Wie immer bei unseren Touren führt Werner als der erfahrenere und ungleich bessere Kletterer. Er ritzt anfangs Trittleisten in den Firn, weiter oben folgt nur mehr Eis, in das er Stufen schlagen muss. Nach jeder Seillänge klopft er mühsam einen Eishaken hinein, den ich als Nachkommender dann wieder herauspickeln muss. Beides waren wohl die anstrengendsten Herausforderungen bei dieser Tour, eigentlich auf den Spuren des Erstdurchsteigers Markgraf Pallavicini, dessen Führer auch unendlich viele Stufen schlagen musste (unser Vorteil waren nur die allerdings gewöhnlichen Eishaken und das moderne Seil). Immer wieder rieseln Schneefahnen über die glatte Steilfläche herunter, auf der man sich – außer beim Hinunterschauen – wirklich wie ein auf dem Bauch sich aufwärts bewegendes winziges Menschlein vorkommt. Steinschlag gab es, obwohl als Hauptgefahr befürchtet, praktisch nicht, zumindest pfiffen nur hie und da kleine Steine an uns vorbei. Weiter oben überholte uns eine zeitgemäß ausgerüstete Seilschaft – Eisbeil, Handstichel, Eisschrauben… Wie müssen wir ihnen mit unserer Steinzeitausrüstung vorgekommen sein! Schon ziemlich weit oben entschließen wir uns, nicht direkt in die Glocknerscharte auszusteigen, sondern queren nach rechts zum Nordpfeiler des Großglockners. Die Passage dorthin geht aber unvermutet an unsere Grenzen, weil wir nicht mehr mit den Eishaken sichern können und außerdem das Gelände kombiniert von Eis und Fels als überaus steil sich herausstellt. Endlich erreichen wir durch eine Seitenrinne der Pallavicini den blockigen Nordgrat – wie eine Erlösung, wieder festen Boden zu fühlen. Trotzdem wird die Kletterei hinauf zum Gipfelkreuz, besonders nach den zurück liegenden Anstrengungen, noch ganz schön anstrengend, wenn auch nicht mehr so aufregend, und der Abstieg über Glocknerscharte und Kleinglockner kommt uns schon wie ein Spaziergang vor. Nach Nächtigung in der Adlersruhe langen wir am nächsten Tag dann wieder – wohlbehalten durch Legionen von Schutzengeln ! – bei der Hofmannshütte an.
Am nächsten Tag traf unser Studienkollege und Freund Wolfgang Wald ein. Er wollte auch mit uns auf den Glockner, und so kamen wir zu einer zweiten, etwas sanfteren Gipfeltour – den Meletzkygrat. Dieser zieht zwischen Hofmannskees (damals der relativ einfache Anstieg von der Pasterze zur Adlersruhe) und dem Hängegletscher des Äußeren Glocknerkars (so war es zumindest damals) hinauf zum Glocknerleitl am Normalweg über den Kleinglockner. Leider in dichtem Nebel, aber trotzdem eine anregende Tour. Allerdings löste sich beim weiteren Aufstieg die Verschraubung von Werners Steigeisen – wenn das in der Pallivicinirinne passiert wäre, nicht auszudenken! Also trat ich ihm meine ab, damit er gemeinsam mit “Bobby” (Studentenname unseres Freundes) zum Gipfel weitersteigen konnte. Und ich stand nun ohne Steigeisen hoch oben am Glocknerleitl, gerade unterhalb der damals noch nicht so sehr wie heute ausgeaperten Blöcke des Kleinglockner – plötzlich der Tiefe unter mir gewahr!!! Zum Glück war der Firn (aktuell spätnachmittags) schon etwas aufgeweicht, also fanden die Profilsohlen guten Tritt. Trotzdem sicherte ich mich selber durch den tief eingestoßenen Pickel, und beim Herausziehen griff ich tief in diese Löcher hinein…
Das Bild zeigt mich schon zwei Tage später, am Weiterweg zum Großvenediger, bei strahlendem Wetter. Dazwischen lag aber noch ein überdicker Nebeltag, ausgerechnet am Übergang von der Oberwalderhütte über die Ödwinkelscharte zur Rudolfshütte am Weißsee. Trotz Kompass bemerkten wir im einförmigen Gletscherboden, als es für einen Moment aufriss, dass wir geradewegs links am Johannesberg vorbeigegangen wären und damit jene Ödwinkelscharte erreicht hätten, die mit Felswänden in den Eiswinkel abbricht! Nach Neuorientierung Richtung Hohe Riffel hielt der Vorausgehende den Kompass ununterbrochen in der Hand, alles Eisenzeug dem Zweitgehenden überlassen, und so kamen wir sicher an unseren Übergang zum Weißsee. Allerdings im Vergleich zu heute über selbst noch Mitte Juli von dicken Firndecken überzogenen Gletscher ohne ein Spur von Spalten… Am letzten Bild dieses Beitrages (bald geht es mit dem St. Pöltner Weg zum Großvenediger weiter) stehe ich schon in Siegerpose, nicht ahnend wie es zu unserem noch fernen Ziel weitergehen würde!
Alle Bilder, wo ich zu sehen bin, selbstverständlich als Duplikat von Werners Dias!