An Lilienfelds sonniger “Schatt(en)seite”
30. Dezember 2015 von Bernhard Baumgartner
Nicht der Sonne zugewandte Talhänge bezeichnet man langläufig als “Schattseite”. Dass dieses Wort auch eine andere Bedeutung haben kann, erweist sich am Beispiel von Lilienfeld. Wenn man dort ankommt oder Richtung Mariazell durchfährt, drängt sich der Blick auf das Stift und den darüber aufragenden Spitzbrand in den Vordergrund. Noch dazu zieht es die meisten Wanderer und Ausflügler auf diese Talseite, wenn sie zur Klosteralm, zum Muckenkogel oder auf die Hinteralm wollen. Vom Sonnenlicht her gesehen ist das zwar die “Schattseite”, aber von der Aufmerksamkeit und der Anziehungskraft für die Besucher Lilienfelds fristen die gegenüber ansteigenden Hänge der nördlichen Seite eigentlich ein Schattendasein. Da kann die Sonne noch so verlockend und farbenauffrischend hinscheinen – der Bergzug vom Taurer / Tarschberg bis über den Lorenzi-Pechkogel ist die Lilienfelder Schattenseite, wenn auch die “sonnige”.
In der winterlichen Jahreszeit, noch dazu wenn sie so schneelos ist, lockt es uns eher auf die sonnigen Hochmulden und Rücken der nördlichen Talseite. Dazu bietet sich eine Tour auf dem Lilienfelder Rundwanderweg an – benannt nach dem Skipionier Zdarsky. Beim alten Torturm der Mariazeller Straße, gleich neben dem Heimatmuseum kann die Wanderung begonnen werden. Steile Waldhänge bilden den Auftakt, schon ziemlich weit oben folgen die aussichtsreichen Hochmulden beim Sulzerhof, bevor es auf bewaldeten Gipfelkämmen weitergeht. Beim Abstieg zurück nach Lilienfeld (zum abschließenden Uferweg an der Traisen) bietet der Hangvorsprung beim Gehöft Kleinreiter den prachtvollsten Ausblick. Obwohl das Lilienfelder Wegenetz schon vor Jahrzehnten intensiv und lückenlos ausgebaut wurde (es gibt sogar noch einen Führer mit Panoramen von den Gipfelpunkten dafür), sind die Markierungen, ob neu oder älter, noch immer ziemlich perfekt.
Die Einheimischen kürzen gern das Bergerlebnis ab, indem sie durch das Jungherrnthal ein Stück hinauffahren, besonders wenn es nur um die Suche nach den in der steilen Waldzone überaus zahlreichen und früh blühenden Schneerosen geht. Wir machen es ihnen nach, wenn es statt der mehrstündigen Rundwanderung nur ein kürzerer Höhenspaziergang sein soll. So geschehen am 28. Dezember, gleich nach den Weihnachtsfeiertagen, obwohl da ein längerer Marsch angesagter gewesen wäre…
Die vom Sulzerhof anschließenden Mulden haben ganz anmutige Formen, überhaupt wenn das winterliche Seitenlicht sie streift, sogar ohne Schneelage! Der Anstieg der Kalkalpen neben dem breit eingemuldeten Gölsental ist von hier aus ganz eindrucksvoll – als noch kleine, aber auffallende Waldpyramide der Hochreiterkogel, dann der als “nördlichster Tausender” von mir betitelte Sengenebenberg, die nicht so auffallende Kiensteineröde beim Ebenwald (unlängst im Schnee erwandert) und der spitze Wendelgupf (ominöse 1111 m hoch, wenn auch in der ÖK um 1 m gestutzt, aber immer interessant durch die Höhle “Wendllucke” mit ihrer Türkensage).
Die Sage von der “Wendllucke”: In der Türkenzeit flüchteten die Wiesenbacher hinauf zum Wendelgupf, um sich in der Höhle unter dem Gipfelfelsen zu verstecken. Aber die Türken folgten ihnen und versuchten, sie durch vor dem Höhleneingang entzündete Feuer auszuräuchern. Der aus dem Portal herauswehende starke Luftzug zwang die Mordbrenner zum Rückzug und rettete so die Geflüchteten. Wie am St. Veiter Staff sollen sich womöglich auch im Wendelgupf sagenhafte Schätze befinden, die sich jedoch nur zu gewissen Stunden durch begnadete Personen heben lassen.
Im anschließenden Höhenzug des Ebenwalds sticht der Kleinzeller Hochstaff hervor, während die Reisalpe sich in Dunstschleiern und Sonnengeglitzer eher versteckt.
Im folgenden Sattel vor dem Gehöft Taurer steht die alte Taurerkapelle mit einem schönen Schmiedeeisengitter. Von dort blickt man über die “Windradln” am Traisner Buchberg hinaus auf das “Häusermeer” der Landeshauptstadt.
Wer übrigens im Wetterbericht den Temperaturwert von Lilienfeld hört, sollte wissen, dass dieser nicht im Tal von Lilienfeld gemessen wird, sondern beim Senderturm auf dem nahen Tarschberg! Die Mulde dort hinauf liegt schon halb im Schatten, und gerade deshalb ergeben sich ganz eigenartige Bilder.
Bei unserem Rückweg haben sich die Ausblicke mit der steigenden Sonne und den unvermuteten Dunstschichten schon wieder verändert. Die Mulde beim Sulzer ist etwas anders modelliert, und allmählich tritt auch der Hinteralmzug mehr hervor.
Anni gelingt noch ein Schnappschuss – der Lichteinfall in der Optik deckt sich mit der Silhuette des Spitzbrands und lässt mit etwas Phantasie eine Kristallform erkennen – vielleicht der bisher nicht einmal in den Sagen entdeckte Schatz von Lilienfeld? Denn im Spitzbrand soll es keine Schätze zu heben geben, vielmehr ist der Teufel, den der in Zeitnöte geratene Baumeister des Stiftes um den Lohn für seine Hilfe (seine Seele nämlich) durch den Einsatz von Weihwasser geprellt hatte, dort in die Hölle abgesaust. Die von seinem feurigen Schweif ausgebrannte dreieckige Spitzbrandwiese erinnert noch daran.
Aber eine Erinnerung an den Spitzbrand gibt es auch im Wappen von Traisen – nämlich den Drachen, der durch sein Wüten im Berginnern immer wieder Hochwasser verursachte, bis er selber davon mitgeschwemmt wurde und sein Gerippe auf den Wiesen bei Traisen liegen geblieben ist (bis es ins Traisner Wappen und in die Sagenbücher gelangte).
Vom Sonnenglanz beim Sulzer und Taurer wieder hinab in den Bergwald, wo auf den Kalk- und Dolomitschichten ganz üppig die Schneerosen blühen. Volkstümlich als “Lilien” angesehen, hat man sogar angenommen, dass sie namengebend für Lilienfeld waren. Aber wahrscheinlicher ist die Verehrung der mit Lilien umkränzten Gottesmutter der Anlass für die Orts- und Stiftsbenennung, so erscheint es zumindest mir…