Romanik zur Gotik – mit einem Schritt!
6. Dezember 2017 von Bernhard Baumgartner
Fortsetzung meines letzten Berichtes über die Wandbilder in der Kirche St. Jakob in Kastelaz bei Tramin in Südtirol:
Das romanische Langhaus, in dem sich die im letzten Beitrag gezeigten und erläuterten Apsisbilder befinden, zeigt auf der gesamten Nordwand übereinander zwei monumentale Szenen. Im oberen Bereich befindet sich eine Kreuzigungsszene, im 14. Jahrhundert im Stil der Gotik gemalt, während die spätromanischen Fresken der Apsis um 1215 / 1220 datiert werden.
Unterhalb der Ornamentleiste sieht man schon in diesem Bild die Hauptattraktion – David hat den Goliath zu Fall gebracht und schlägt diesem, mit dem Schwert des Riesen, den Kopf ab.
Im 15. Jahrhundert kam es zu einer Vergrößerung der Kirche, indem man an die Südseite ein gotisches Seitenschiff anbaute und mit dem Turm verband. Der romanische Kirchenbau des 11. Jahrhunderts war an einem Höhepunkt der Wallfahrtsbewegung nach Santiago de Compostella entstanden. Wohl in Verbindung mit einer Burganlage, die 1279 durch Graf Meinhard II. von Tirol zerstört wurde, als er seinen Einfluss gegen die Bischöfe von Trient auszudehnen suchte.
Die gotischen Fresken im südlichen Seitenschiff sind mittels einer Inschrift auf 1441 datiert, noch bevor der heute als Hauptportal benutzte Eingang um 1500 entstand. Die gut erhaltene Szene zeigt eine Pilgergruppe, wie sie vom Kirchenpatron Jakobus empfangen wird.
Mit nur einem Schritt steigt man vom romanischen Langhaus in das gotische Seitenschiff – unter einem Gurtbogen hindurch, der mit einer medaillonartigen Bilderfolge bemalt ist. An dieser wird der belehrende und erzieherische Charakter der Fresken besonders deutlich. Im Scheitelpunkt des Bogens ist Gottvater abgebildet, dann folgen die fünf klugen und die fünf törichten Jungfrauen aus dem bekannten Gleichnis des Matthäusevangeliums als Mahnung für Standhaftigkeit und Bereitschaft. Die untersten Bilder illustrieren die Opfer von Kain und Abel.
Die Bogenwand des Seitenschiffs zeigt weitgespannt eine Marienszene – die Madonna mit dem Kind inmitten des von einer Mauer umgebenen “Paradiesgartens”. Diese Arbeit entspringt einer höfisch ausgerichteten und der Hohen Minne verwandten Religiosität der Hochgotik. Der zeitliche Wandel der Kunst wird hier im Vergleich zu den romanischen “Bestiarien” überaus deutlich, nur ein halbes Jahrhundert nach diesen Fresken beginnt doch bereits die Neuzeit mit ihren gewaltigen Umwälzungen. Der verschlossene Garten gilt als Sinnbild für die Jungfräulichkeit Mariens, Engel leisten ihr Gesellschaft, auf den Mauerzinnen ist der Text des “Gloria” zu lesen, und ganz rechts deutet der mit dem Fuchs spielende Hase den paradiesischen Frieden an.
Ganz reizend wirkt der kleine Engel, der links im Bild das Tor zum Paradiesgarten einladend geöffnet hält.
Das gemeinsam mit dem Bild des Gewölbebogens vorhin gezeigte Kreuzrippengewölbe ist mit besonders gut erhaltenen gotischen Fresken bedeckt. Während die Fresken der Altarwand erst nach 1973 zum Vorschein kamen, wurden die Deckenfresken schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts freigelegt. Sie zeigen neben Evangelisten und Kirchenvätern auch vier Engel, die auf Schriftbändern das Lob Gottes verkünden. Kurios – drei davon sind mit wallenden Kleidern versehen, der Engel im altarnahen Ausschnitt aber nur mit seinen Flügeln! Wie bei mehreren anderen Szenen muss man genau hinschauen, und ohne Hilfe des Kirchenführers, aus dem ich zitiere, blieben Einzelheiten und selbstverständlich die Deutungen der Bilder nur unzureichend erlebbar…
Den Abschluss für meine Wandertipp-Kunstbetrachtung habe ich wieder aus dem kompakten und zugleich überaus informativen Kirchenführer herausgelesen, und zum Glück haben wir das Bild beim Fotografieren nicht übersehen!
Es befindet sich an der Westwand neben dem Kirchenportal und zeigt die erst Anfang des 15. Jahrhunderts greifbar gewordene “Hühnerlegende” (ich zitiere aus dem aufliegenden Kirchenführer nach Verena Friedrich, Kunstverlag Peda – Passau): In dieser Legende wird von einer Begebenheit berichtet, die einer Familie auf dem Pilgerweg nach Santiago widerfuhr. In einer Herberge versteckte der Wirt in deren Gepäck einen Silberbecher. Nach ihrer Abreise wurde der vermeintliche Raub bemerkt, der Sohn der Pilger gefangen genommen, verurteilt und schließlich gehängt. Die Eltern pilgerten allein weiter. Als sie nach 36 Tagen aus Compostela zurückkamen, fanden sie ihren Sohn lebend am Galgen hängen! Der hl. Jakobus hatte ihn die ganze Zeit über gestützt und so am Leben erhalten. Daraufhin wurde der Wirt zur Verantwortung gezogen und gehängt. Eine Ausschmückung der Legende (zur Zeit der Freskierung vermutlich aktuell) berichtet dazu – als die Eltern ihren Sohn noch am Leben fanden, teilten sie dieses Wunder dem Richter mit. Dieser saß gerade zu Tisch bei einem gebratenen Huhn. Er glaubte den Pilgern nicht und meinte: “Euer Sohn ist so lebendig, wie dieses Huhn auf meinem Tisch!” Daraufhin soll das Huhn davongeflogen sein, der Richter erkannte seinen Irrtum ebenso wie das Wunder und übte Gerechtigkeit für die falsche Beschuldigung des Wirtes…
So schließt sich der Kreis von den Jakobspilgern in der Kirche St. Jakob auf Kastelaz, und die zahllosen Pilger auf den modernen Jakobswegen werden ja wohl auch eigene Wunder während ihrer langen Wallfahrt zum hl. Jakobus erleben können. Erzählfreude gibt es ja aktuell dazu genug, auch wenn medienattraktiv nur kleine Stücke davon eingefangen werden. Anni hat eine solche Pilgerreise schon mitgemacht, allerdings ohne Kamerabegleitung und nur mit einigen Fotos für´s Familienalbum. Unsere Freunde Wolfgang und Helga Wald, beide ausdauernde Waldviertler und in Eschenau an der Traisen NÖ ansässig, sind aber wirklich in mehrjährigen Etappen von Wien bis nach Santiago und ans “Ende der Welt” (Finisterre) zu Fuß und ohne Marscherleichterungen unterwegs gewesen!