Maltas “Chinesische Mauer”
3. Mai 2015 von Bernhard Baumgartner
Woher nehme ich unsere Wanderrouten auf Malta? Wohl kaum aus den Karten, denn die beste zu meiner Verfügung ist eine Straßenkarte von freytag & berndt, immerhin im Maßstab 1 : 30 000, aber zum Wandern ebenso wenig ausreichend wie die google-maps (die schon gar nicht…). Also beiben (bis auf eine spezielle Quelle, die ich aber erst bei einer anderen Tour angebe) die Reiseführer. Meiner von duMont gibt da höchstens knappe Hinweise, aber Sonja hat einen von “Müller” gekauft, den ich bei Hannes vorgefunden (und dort gelassen) habe. Diese Tour ist daraus entnommen, und für die Fahrt zu einer abgelegenen und grandiosen Bay stand mir sogar ein Reiseführer (auf Englisch!) zur Verfügung, den eine von Hannes´ Kolleginnen hergeborgt hat.
Bei der berühmten Chinesischen Mauer versteht man deren Errichtung noch halbwegs – gegen die aus Norden gegen das “Reich der Mitte” andrängenden Eroberer. Aber dass quer durch das nordwestliche Malta auch eine ähnliche Befestigung gezogen wurde, verwundert ebenso wie das Datum ihrer Errichtung.
Welche Feinde hätten damals Malta bedrohen können? Oder war es ein Beschäftigungsprogramm für die dort stationierten britischen Truppen? Jedenfalls sind diese insgesamt Victoria Lines genannten Wehrmauern und Forts die dritte (und letzte) Epoche von Befestigungen dieser viel begehrten und zeitweise auch umkämpften Insel. Zuerst waren es die Bastionen der Städte um die Häfen bei Valletta und die rings an der Küste verteilten Wachtürme, die alle heute noch das Stadtbild und die Landschaft beherrschen. Zuletzt entstanden die Victoria Lines (von den Vorkehrungen gegen eine deutsche Invasion während des 2. Weltkriegs ist mir nichts bekannt).
Dienstag, 31. März 2015, ein nationaler Feiertag in Malta, und Hannes unternimmt mit uns wieder eine Ausflugsfahrt. Die Gelegenheit muss genützt werden – ein Ziel, das mit Bus kaum oder nur sehr schwer erreichbar ist! Dazu bieten sich die Dwajra Lines an und eine ganz entlegene Küstenecke jenseits von Rabat / Mdina. Die Fahrt geht über Naxxar und nach Mosta auf die Anhöhe zwischen dem zentralen Becken Maltas und den nordwestlich anschließenden Talmulden und Ridges (Höhenrücken). Leider ist die Seitenstraße, wo wir direkt zu den Dwejra Lines hätten abzweigen können, gesperrt - also weiter nach Mgarr, aber schon vorher auf einer beschilderten Seitenstraße abzweigend nach Bingemma. Von dem noch in der Niederung verstreuten Ort verläuft die Straße auf die imposante Anhöhe zu und erreicht durch einen engen Graben die anscheinend berühmte Bingemma-Kapelle. Hier sind wir nun genau am Ausgangspunkt der im Müller-Führer empfohlenen Wanderroute.
Zuerst verfehlen wir den Steig zur Befestigungsmauer und würden zu den am Gegenhang in den Felsen sich öffnenden Höhlen gelangen (von Urzeiten bis in jüngere Vergangenheit wie auch andernorts als Wohnhöhlen benützt). Dann aber geht es auf der den Steilgraben überspannenden Mauerkrone hinüber zum jenseitigen Bergrand.
Auf dem folgenden Höhenrücken, der durch die nordwestlichen Steilabbrüche natürlich befestigt ist, setzt sich die Verteidigungslinie mit einem vorgelagerten, tief in den Fels geschlagenen Graben fort, einzelne höhlenartige Stützpunkte sind immer wieder zu bemerken und dienen nun teilweise als landwirtschaftliche Unterstände.
Der Ausblick ist beiderseits fantastisch, über das buntscheckige Tal bei Mgarr bis zur nordwestlichen Küste, ins Landesinnere auf ebenfalls kultivierte Terrassen. Dort erblickt man im Hintergrund die Höhensiedlungen von Mtarfa (einst vor allem eine britische Garnison) und dahinter die Türme von Mdina und Rabat.
Das Wetter ist wunderbar, und wo der Nordwestwind nicht herblasen kann, wird es sogar recht warm. Den Fahrweg entlang kommen wir immer wieder an Picknickplätzen vorbei – dort spielt sich das ländliche Feiertagsvergnügen der maltesischen Familien ab.
Nach längerer Wegstrecke können wir endlich rechts abbiegen, nicht ohne vorher noch über eine Gartensteinmauer hinweg nach dem Weg zu fragen – der Besitzer spricht offensichtlich nur Maltesisch, aber seine herbeigerufenen Frau gibt uns in besserem Englisch, als wir es können, die perfekte Auskunft. Leider übersehen wir zu fragen, ob in ihrem Garten vielleicht gerade Orangen oder Zitronen reifen und sie Früchte verkaufen würde. Denn gesehen haben wir solche immer wieder und ganz prächtige, aber leider ohne welche bekommen zu können…
Der Blick ins Landesinnere (AB) ist von üppigem Grün beherrscht, das wir umso mehr genießen, als wir noch den verdorrten Landschaftseindruck vom Oktober gut im Gedächtnis haben. Oberhalb der Seitenstraße verlaufen hinter Steinmauern großteils intensiv bepflegte Felder und Gärten, charakteristisch roter Erdboden, Weingärten mit leuchtendem Unterwuchs.
Die typische Form so mancher alter, kleiner Gehöfte stammt noch aus arabischer Zeit – ein Schutz bietender Wohnturm (nachts im Untergeschoss das Vieh und oberhalb die Schlafräume) mit einem klobigen Anbau, alles aus Stein gefügt.
Hannes eilt dann schon voraus, um uns mit dem Auto entgegen zu kommen, und dann geht die Fahrt über verwinkelte Straßen auf das unterhalb von Rabat / Mdina verlaufende Tal zu. Dort treten an nicht verkarstenden Schichten (Grünsande und Kalksandstein) eher Grundwasservorkommen an die Oberfläche als auf den kahlen Höhen aus Korallenkalk, und eine große Fläche wird von einem überdachten Wasserreservoir eingenommen. Hier ist die Orientierung gar nicht leicht, aber irgendwie finden wir immer wieder einen Wegweiser zu unserem Zielort – Bahrija. Diese Gegend gehört zu den abgelegensten Winkeln Maltas, und trotzdem verläuft hier von Rabat aus eine lokale Autobuslinie (von Valletta aus allerdings fast schon eine kleine Weltreise…).
Verfahren haben wir uns erst in der zwar gar nicht so kleinen, aber wahrlich weltfernen Ortschaft. Wir landen in einem üppigen Tal mit Wasserstellen und Bambusbeständen, aber wo der Asphalt zu löchrig wird, ist für den sportlichen BMW endgültiger Stop. Und schon wieder eine freundliche Begegnung! Bei einem am Gartenrand parkenden Auto erklärt uns ein freundlicher Herr sogar mittels der Map in seinem Mobiltelefon, wie es hier weitergehen könnte. Gar nicht uninteressant, ragt doch vor uns ein felsiger Bergrücken auf, aber die dort oben befindliche Siedlung aus der Bronzezeit soll abgesperrt sein. Die Tour würde sich nur von Rabat aus als endlos lange Runde lohnen, aber tagesfüllend… so viel Zeit haben wir nicht.
Auch der Name des benachbarten Kaps (Ras ir-Raheb) verrät, dass die maltesische Sprache zu einem großen Teil vom Arabischen abstammt (als einzige arabische Sprache wird sie mit lateinischen Buchstaben geschrieben)! Die Information über diesen von Touristen kaum, von Einheimischen aber offensichtlich gern besuchten wilden Küstenabschnitts habe ich dem englischen Malta-Reiseführer entnommen. Unsere Zufahrt endet an einer vor dem noch wiesigen Küstenabhang sich verzweigenden Straße – weiter geht es nur mehr ein Stück zu Fuß, aber in einer überwältigenden Landschaft, die ich gerne noch näher erkunden würde…
An üppige Wiesen und kleine karge Äckerchen schließt der Steilrand der Klippen an, ein nur schwer überwindbarer Abgrund. Trotzdem soll der seinerzeitige Präsident Dom Minthof mit Vorliebe über die gefährliche Passage zum Strand hinab geritten sein! Den inzwischen in die Felsen geschlagenen und abgesicherten Weg können wir leider nicht begehen, denn nun drängt schon die Zeit. Die Landschaft an diesem Küstenabschnitt bleibt uns jedenfalls als überaus wild und urig im Gedächtnis!
Bei der Rückfahrt gibt es noch zwei Aufenthalte – zuerst in der Nähe von Bahrija bei einem bäuerlichen Verkaufsstand, wo gerade zur richtigen Erntezeit Erdbeeren und Paradeiser angeboten werden (die Orangenzeit geht leider schon zu Ende). In Attard kommen wir zu einem auch nachmittags geöffneten Restaurant – vorzügliche bodenständige Küche, ein schöner Abschluss für diesen interessanten Tag!